Wie halte ich es mit der Tradition?
Drei Werke von drei Komponisten – und darin enthalten eine Frage, die sich nicht nur den Musikern des Gärtnerplatztheaters stellt
Was macht einen Konzertabend zum Erlebnis, oder mehr noch, zum besonderen Ereignis? Gute Musik, gut interpretiert – das ist die Grundvoraussetzung. Und was das angeht, sind die Besucher der Kammermusiken im Bibliothekssaal seit nunmehr acht Jahren nicht nur gut, sondern bestens bedient. So auch am vergangenen Sonntagabend mit einem Programm von Streichquintetten, in dem Musiker des Staatstheaters am Gärtnerplatz die Werke dreier teils zeitlich, besonders aber in ihrer musikalischen Auffassung unterschiedlich angesiedelter Komponisten zur Aufführung brachten: Nur gut zehn Jahre trennen das 1901 entstandene Opus 77 in F-Dur des 1835 in Coburg geborenen Felix Draeseke vom 1890 komponierten Streichquintett G-Dur op. 111 seines großen Hamburger Zeitgenossen Johannes Brahms. Und mehr als ein Jahrhundert später schuf Lucio Franco Amanti sein 2014 uraufgeführtes „Genesis“. Jedes der drei Werke für sich genommen bildet seinen eigenen, individuell erdachten Klangkosmos. Was, um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, über diese Wahrnehmung hinaus ihre Aufführung aber zum besonderen Erlebnis werden ließ, war deren Gegenüberstellung im Programm eines Konzertabends, der auf diese Weise nicht nur sinnliches, sondern in der Möglichkeit vergleichenden Hörens zudem auch intellektuelles Vergnügen bereitete. Und – besonderes Qualitätsmerkmal dieser Konzertreihe – in der Stückeauswahl auch einem übergeordneten Erkenntnisinteresse folgte. In diesem Fall: „Wie halte ich es mit der Tradition?“ Drei Komponisten, drei unterschiedliche Antworten, sensibel abgehört und musikalisch übersetzt von Katja Lämmermann und Teresa Amanti, Violine, Dorothea Galler und Gisela Sterff, Viola, sowie am Cello Clemens Weigel und Franz Lichtenstern.
Brahms, in seiner musikalischen Leidenschaftlichkeit von niemandem argwöhnischer beobachtet und strenger in die Grenzen verwiesen als von sich selbst, bekennt sich in seinem Alters- und wie er zu dem Zeitpunkt glaubte, letzten Werk, mit Anklängen an gleich mehrere Komponisten eindeutig zum musikalischen Erbe. In eher linearen Verläufen und mit beinahe unerschöpflichem Ideenreichtum führt er Themen nicht nur ein, sondern entwickelt sie auch fort, und unterscheidet sich darin ganz wesentlich von Felix Draeseke mit seinem nur wenige Jahre später entstandenen Streichquintett, das aus dem Vollen zu schöpfen scheint, ohne dies aber je in Gänze auszukosten; ein Stück von enormem Aussagewillen, letztlich aber ohne eindeutige Aussage. Sensibel folgten die Musiker dem Sog dieser unruhig vorwärts drängenden Komposition, und fand sich mit ihnen auch das Publikum inmitten eines Strudels hypnotisch aufziehender Traumbilder. Aufbau und Umsturz im ständigen Wechsel – ein Werk, bravourös interpretiert, das in seiner Vielschichtigkeit und Ambivalenz tiefe Einblicke in dieses innere Zerwürfnis allen künstlerischen Schaffens bietet.
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