Die möglichen Erklärungen für Stefan Raabs TV-Abschied
Nicht nur seine Fans rätseln über die Gründe für Stefan Raabs Rückzug. Ist der Mann mit dem Mut zur Frechheit einfach müde geworden? Es gibt noch andere mögliche Erklärungen.
„Hast du gestern ’TV total’ gesehen?“ Klar, was sonst. Mit 14 auf dem Pausenhof gab es kein anderes Gesprächsthema als Stefan Raabs Late-Night-Show. Vor 22 Uhr ins Bett zu gehen, kam nicht infrage. Die Bettgehzeiten der Eltern wurden außer Kraft gesetzt. Heimlich „TV total“ gucken war angesagt. Am nächsten Tag in der Schule musste man schließlich wissen, was Raab im Fernsehen erzählt hatte. Ansonsten war man uncool.
Stefan Raab äußert sich bislang nicht zu seinem Abschied
Diese Zeiten sind vorbei. Angesagt ist Stefan Raab schon lange nicht mehr. Daran ist der Kölner selbst schuld. Er wirkt gelangweilt, wenn er viermal pro Woche seine Sendung präsentiert. Breitbeinig und mit Händen in der Hosentasche steht er auf seiner Showbühne und präsentiert seine Gags. Gekleidet ist er immer noch wie vor 16 Jahren, als er mit „TV total“ auf Sendung ging: Jeans, ein viel zu großes Sakko und ein bis oben zugeknöpftes Hemd mit T-Shirt drunter. Wenn er seine Band oder Show-Praktikant Elton beleidigt, klatschen die Zuschauer im Studio nur, weil sie von einem Mitarbeiter dazu animiert werden.
Noch bis Ende des Jahres will Raab so weitermachen. Danach hängt er seine „Fernsehschuhe an den Nagel“. Diese Entscheidung verkündete der 49-Jährige am Mittwochabend in einer Pressemitteilung. Ein früher Ruhestand, zu dessen Gründen er sich bislang nicht äußert. Ärger mit seinem Sender ProSieben scheint es nicht zu geben. Raab erklärte, dass die Zusammenarbeit „im besten Verhältnis“ endet. Manche vermuten, dass er mehr Zeit mit Frau Nike und den beiden gemeinsamen Töchtern verbringen will. Andere glauben, dass es dem Entertainer nach über 20 Jahren Showgeschäft an Ideen fehle. Raab jedenfalls hat schon einmal seinen Rückzug angekündigt. In einem Interview sagte er, dass er sich nicht vorstellen könne, mit 50 noch Fernsehen zu machen.
Dass Raab irgendwann einmal langweilig werden würde, war vor ein paar Jahren unvorstellbar. Sein früherer Chef Andreas Bartels bezeichnete Raab einst als „innovativsten Fernsehmacher dieser Zeit“. Mit harter Arbeit hat es der Sohn eines Metzger-Ehepaars zu dieser Anerkennung gebracht. Sein Erfolgsrezept hat er von seinem Vater. Dem Spiegel erklärte Raab einmal: „Papa Raab wusste: Macht er die beste Wurst, wird sein Laden funktionieren.“ Der Moderator übertrug das auf die Medienbranche und wurde immer mehr zum Unternehmer.
Vom Musikmoderator zum Late-Night-Talker
Neben „TV Total“ entwickelte Raab erfolgreiche Formate wie die „Wok-Weltmeisterschaft“, das „TV-Total-Turmspringen“, und den „Bundesvision-Song-Contest“. Den größten Coup landete er mit der Show „Schlag den Raab“, weil er das Format der Sendung in verschiedene Länder verkauft hat.
Während er dem Sender immer mehr Geld einspielte, verging ihm als Spaßkanone sein Dauergrinsen, das ihn Anfang der 1990er-Jahre berühmt gemacht hatte. Beim Musiksender Viva war Raab eine Art Rebell unter den Moderatoren. Mit schrägen Hosen, albernen Brillen und einer großen Schnauze ging er auf Musikstars wie Falco oder Nena los. Manchen spielte er etwas auf seiner Ukulele vor. Während der Fußballweltmeisterschaft 1994 in der USA komponierte er ein Lied über Bundestrainer Berti Vogts mit dem Titel „Böörti Böörti Vogts“. So etwas kannte man in Deutschland noch nicht. Der Song kam bis auf Platz vier der Charts.
Aus dem rebellischen Musikmoderator wurde beim Privatsender Viva ein Late-Night-Talker. In „TV total“ auf ProSieben verkörperte Raab dann so etwas wie den kleinen, kompakten Bruder von Harald Schmidt. Nur noch eine Spur respektloser. Versprecher, Fernsehpannen, falsche Antworten in Quizshows oder Namen wie Lisa Loch – Raab nahm alles und jeden aufs Korn. „Neulich hab ich in Sat.1 was gesehen …“, so beginnt ein typischer Raab-Gag.
Genau so leitete er auch den Beitrag von Regina Zindler und ihrem Nachbarschaftsstreit am Maschendrahtzaun bei TV-Richterin Barbara Salesch ein. Dieser Auftritt wäre schnell wieder in Vergessenheit geraten, hätte Raab nicht aus Zindlers sächsischem „Maschendroahtzaun“ ein Lied gemacht. Der Song schaffte es auf Platz eins der deutschen Single-Charts. Mut zur Frechheit bewies Raab auch bei Ulk-Hits wie „Ho mir ma ’ne Flasche Bier“ mit einem Zitat des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder.
Raab und die Musik – eine Erfolgsgeschichte. Schon vor seiner Zeit bei Viva produzierte er Werbejingles. Später sang er selbst und verlegte sich auf Castingshows mit verrückten Titeln wie SSDSDSSWEMUGABRTLAD oder SSDSGPS. Für Letztere bekam Raab 2005 sogar den Grimme-Preis.
Bei "Schlag den Raab" wurde er auch schon ausgebuht
Als Deutschland beim Eurovision Song Contest mehrfach versagte, ertönten die Rufe nach Raab als Retter. Der Entertainer sagte seine Hilfe zu und entdeckte 2010 in einer Casting-Show die spätere Siegerin Lena Meyer-Landrut. Nach Nicole die erste Deutsche, die den europäischen Gesangswettbewerb für sich entschied. Raabs wohl größter Erfolg.
Stefan Raab, ein Typ, der machen kann, was er will, und immer Erfolg hat. Einer von denen, die man in der Schule immer gehasst hat. Wegen seines übertriebenen Ehrgeizes buhten ihn die Zuschauer bei „Schlag den Raab“ schon aus. Das breite Grinsen, die geballte Faust oder der laute Siegerschrei: Was anfangs noch als authentisch galt, nennen TV-Kritiker heute nur noch peinlich.
Schon vor zwei Jahren kritisierte ZDF-Moderator Jan Böhmermann Raab deshalb persönlich: „Es ist dieses Gaddafi-Phänomen: Man weiß einfach nicht als Diktator, wann es Zeit ist, abzutreten.“ Doch Böhmermann hat sich getäuscht. Nun ist es an ihm und anderen Nachwuchskräften wie Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die durch Raabs Abgang entstehende Lücke zu schließen.
Besonders schmerzhaft dürfte ProSieben Raabs Abgang treffen. Mit ihm verliert der Fernsehsender sein Zugpferd. Einen ersten Vorgeschmack bekamen die Verantwortlichen bereits gestern. Der Börsenkurs von ProSiebenSat.1 brach regelrecht ein. Die Aktie fiel am Donnerstagmorgen um 1,25 Prozent auf rund 41,60 Euro. Kein Wunder, dass ProSieben-Senderchef Wolfgang Link schon ein mögliches Comeback des Entertainers herbeisehnt. „Sollte er jemals einen Rücktritt vom Rücktritt in Erwägung ziehen: Bei ProSieben stehen ihm alle Türen offen.“
Was Raab 2016 macht, ist unklar. Vielleicht verwirklicht er sich einen Traum und segelt mit einem alten Katamaran um die Welt. Auf jeden Fall wird er sich stärker um seine Familie und seine zwei Neufundländer kümmern. Gut möglich, dass er es wie Fußballtrainer Pep Guardiola macht, nach einem Sabbatjahr zurückkehrt und wieder für Gesprächsstoff auf deutschen Schulhöfen sorgt. Bis dahin erinnern CD’s und Youtube-Videos an den Entertainer mit dem breiten Grinsen.
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