Erregung der dritten Art
Der Tester hat beschlossen, Uschi zu fragen. Weshalb gerade Uschi? Ganz einfach: Wir wollen wissen, wie eine Frau, die privat in einer 175-PS-Limousine unterwegs und im Straßenverkehr nach eigener Aussage um Korrektheit bemüht ist, mit einer Corvette zurechtkommt. Von Reinhart Kruse
von Reinhart Kruse
Der Tester hat beschlossen, Uschi zu fragen. Weshalb gerade Uschi? Ganz einfach: Wir wollen wissen, wie eine Frau, die privat in einer 175-PS-Limousine unterwegs und im Straßenverkehr nach eigener Aussage um Korrektheit bemüht ist, mit einer Corvette zurechtkommt. 404 PS, 546 Newtonmeter, in 4,1 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100, Spitze 300 km/h - Daten einer Rakete auf Rädern.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Wahl auf Uschi gefallen ist. Uschi, die Ursula Ernst heißt und als Redakteurin dieser Zeitung über Familienpolitik schreibt und gelegentlich auch über Mode, ist alles andere als eine Corvette-Frau. Uschi, eine ebenso elegante wie gepflegte Erscheinung, fährt nicht nur korrekt Auto, sie ist die personifizierte Korrektheit: Auftreten, Kleidung, die Art sich zu schminken, etc., etc. - alles geschmackvoll, ohne jeglichen lasziven Touch. Stellt sich die Frage: Kann ein solcher Typ der Faszination eines Sportwagens erliegen, der früher bevorzugt Luder und Luden als fahrbarer Untersatz diente?
In der Erwartung, viel Überzeugungsarbeit leisten zu müssen, legt sich der Tester eine ganze Litanei an Argumenten zurecht, ehe er die Anfrage startet: "Uschi, unten steht eine Corvette. Hättest du die Freundlichkeit, mal eine Runde zu drehen, um"... Uschi fällt dem Tester ins Wort: "Auf jeden Fall. Unbedingt." Die spontane Zusage ist die erste Überraschung.
Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Als Uschi am Treffpunkt erscheint, umrundet sie zunächst das Cabrio mit prüfendem Blick. "Gar nicht mehr so proletenhaft wie früher", lautet ihr Urteil. Dann klemmt sie sich hinters Steuer, bringt Sitz, Spiegel und Lenkrad in die für sie günstigste Position, drückt den Starterknopf und findet sofort Gefallen am kernigen Sound des Sechsliter-V8: "Klingt klasse."
Vorsichtig lässt Uschi die Corvette anrollen. Im Bummeltempo geht's zur nahen A-8-Auffahrt, und auch die ersten Autobahnkilometer werden mit großer Zurückhaltung absolviert. Als der Tester glaubt, es sei der Eingewöhnung genug, fordert er die Wagenlenkerin auf: "Tritt doch jetzt mal das Gaspedal durch." Uschi tut's. Unter lautem Getöse zieht die mit Sechsgang-Automatik ausgerüstete Corvette derart brachial an, dass Fahrer und Beifahrer mit Urgewalt gegen die Sitzlehnen gedrückt werden. Aber nur für Sekundenbruchteile. Instinktiv nimmt Uschi den Fuß sofort wieder vom Gaspedal. Der Schreck, den die bisher ungekannte Wirkung ausgelöst hat, war zu groß.
Nach zwei, drei Minuten ermuntert der Tester die Fahrerin zu einer Wiederholung. Uschi atmet tief durch, gibt dann der Corvette erneut die Sporen - diesmal aber viel, viel länger. "Macht Spaß", sagt sie nach Beendigung der Übung. So viel Spaß, dass sie sich nicht mehr einkriegt: Immer und immer wieder werden die Sprinterqualitäten des Hecktrieblers überprüft. Der Gedanke an mögliche rechtliche Folgen veranlasst den Tester, Uschi verbal einzubremsen: "Willst du deinen Führerschein riskieren?"
Will sie nicht. Das Tempo wird auf die vorgeschriebenen 120 km/h reduziert, und umso mehr überrascht es den Tester, als Uschi nach ein paar Kilometern flötet: "Huch, mir wird ganz heiß. Was ist nur los?" Erregung der dritten Art. Bald ist Uschi wieder auf Normaltemperatur. Sie fragt, was die "grüne Zahl in der Windschutzscheibe" bedeutet und erfährt, dass es sich um die Geschwindigkeit handelt: "Die Corvette ist mit einem Head-up-Display ausgestattet. Serienmäßig."
Das findet Uschi ebenso praktisch wie die Tatsache, dass auf Knopfdruck elektrische Heinzelmännchen das Stoffverdeck des Cabrios öffnen respektive schließen. Den Hinweis, die Corvette könne mit den Paddeln am Lenkrad auch per Hand geschaltet werden, nimmt sie zur Kenntnis, macht aber keinen Gebrauch von dieser Möglichkeit. Auf der Landstraße lässt Uschi es gemächlich angehen. Vielleicht, weil ihr der Tester von einem Dreher bei regennasser Fahrbahn berichtet hat. Wieder am Ausgangspunkt angelangt, tut Uschi das, was die Korrektheit erfordert - sie bedankt sich: "Du hast mir eine riesige Freude gemacht." Dass sie diesen Satz fünfmal wiederholt, ist die letzte Überraschung.
Nach zwei Wochen begegnet man sich zufällig wieder. Sie habe noch ein paar Fragen, sagt Uschi und legt los: "Wie hoch war denn der Verbrauch?" "11,9 Liter auf 100 Kilometer.""Erstaunlich niedrig für ein 400-PS-Auto. Und was kostet das Cabrio?" "77 850 Euro", antwortet der Tester und will seinerseits etwas wissen: "Das ist vergleichsweise günstig. Wäre es ein Thema für dich, eine Corvette zu kaufen?" "Nein", schüttelt Uschi, die Korrekte, den Kopf, "was würden da meine Nachbarn denken."
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