Richard Marx: Der Geschichtenerzähler
Schmusesänger Richard Marx hat Millionen Alben verkauft und für andere Künstler Hits geschrieben. In den vergangenen Jahren ist es etwas ruhiger um ihn geworden. Nun ist er zurück. Interview von Daniel Wirsching
Er zählt zu den erfolgreichsten Sängern überhaupt. Seine besten Zeiten als Solokünstler hatte er allerdings in den 80er und 90er Jahren. Noch immer laufen "Right Here Waiting", "Angelia" oder "Now and Forever" im Radio. Schmuse-Pop. Seltsam: Seine Lieder kennt jeder, seinen Namen nicht. Das hat vor allem damit zu tun, dass Richard Marx (47) wenig über sein Privatleben verrät und in den Klatschspalten der Zeitungen nicht vorkommt. Im November tourt er durch Deutschland.
Herr Marx, erzählen Sie mir eine Geschichte?
Marx: Eine Geschichte? Über was denn?
Ganz gleich.
Marx: Ah, jetzt hab ich's kapiert.
Naja, ich dachte, wir könnten uns über das Geschichtenerzählen unterhalten. Schließlich heißt Ihr aktuelles Album und die gleichnamige Konzerttournee "Stories to Tell".
Marx: Hm. Wissen Sie, dieser Titel bezieht sich eigentlich darauf, was bei meinen Konzerten in den Pausen zwischen den einzelnen Liedern passiert. Es geht um die Interaktion zwischen meinem Publikum und mir, um die kleinen Geschichten, die ich über den Entstehungsprozess der Lieder erzähle, über Dinge, die im Studio abgelaufen sind. Oder einfach über das, was ich zu den Leuten während eines Konzertes sage. Als ich nach einem Titel für das Album suchte, schien mir "Stories to Tell" auch deshalb zu passen, weil auf dem Album viele meiner Hits sind - und über diese und meine Karriere erzähle ich eben kleine Geschichten in meinen Shows.
"Stories to Tell" ist eine Art akustisches Greatest-Hits-Album. Haben Sie keine neuen Geschichten zu erzählen?
Marx: Ich habe immer neue Geschichten zu erzählen. Das muss ich nicht zwangsweise in neuen Liedern tun. Aber grundsätzlich ist es ja schon so: Jedes meiner Lieder enthält eine Erfahrung oder bezieht sich auf etwas, das ich durchgemacht, das ich gedacht habe.
Was ist Ihre Lieblingsgeschichte?
Marx: Ich habe weder eine Lieblingsgeschichte noch ein Lieblingslied. Das hängt mit meiner Arbeit als Musiker zusammen. Ich habe in meinem Repertoire Rocksongs und Balladen. Und ich habe für andere Künstler Stücke geschrieben, die ich vermutlich selbst nie singen würde, zum Beispiel einen Countrysong.
Von Zeit zu Zeit wenden Sie sich auf Ihrer Homepage in einem Video an Ihre Fans. Neulich erzählten Sie Ihnen die Geschichte von Ihrem ersten Treffen mit Paul McCartney.
Marx: Das ist mir fast ein bisschen peinlich. Dass mich ein Star derart beeindruckt, hätte ich nämlich vorher kaum für möglich gehalten. Ich bin da offensichtlich wie jeder andere Fan auf der Welt. Kennen Sie die Geschichte von den Beatles, als die den Papst getroffen haben?
Erzählen Sie sie mir.
Marx: Der Papst soll recht nervös gewesen sein und John Lennon soll hinterher gesagt haben: Niemand ist "Beatle proof", die Beatles lassen niemanden kalt.
Sie müssen ein großer Paul-McCartney-Fan sein.
Marx: Wer ist das nicht? Paul McCartney ist sicher einer der besten Songschreiber, die je gelebt haben, und ein phänomenaler Sänger. Am meisten beeindruckt mich, dass er nach wie vor unheimlich ehrgeizig ist. Er ist 68 und will's immer noch wissen. Wie mein Freund Ringo Starr. Beide geben sich nicht mit dem zufrieden, was sie erreicht haben. Sie wollen immer noch bessere Lieder schreiben. Ich hoffe, ich werde auch so sein im Alter.
Sie haben sich in Ihrer Videobotschaft dafür entschuldigt, dass Sie sich eine Weile nicht gerührt haben - weil Sie nicht viel zu erzählen hatten. Das ist ziemlich bemerkenswert, finde ich.
Marx: Ich möchte eben kein belangloses Zeug absondern. Wenn ich sagen würde: Hey, hört mal, ich war heute da und da beim Abendessen - das interessiert doch nun wirklich niemanden. Promis, die glauben, dass es wichtig ist, über Nichtigkeiten zu plaudern, liegen falsch.
Halten Sie sich eher für einen Geschichtenerzähler oder eher für einen Sänger und Songschreiber?
Marx: Ich bin beides. Wenn zum Beispiel ein Künstler ein Lied singt, das ich geschrieben habe, kommt es mir vor, als wenn dieser Künstler seine eigene Geschichte erzählt - nicht mehr meine. Außerdem gibt es Lieder, die gar keine richtige Geschichte erzählen, sondern die einfach Spaß machen sollen. Rock 'n' Roll! Bei solchen Liedern ist der Text nicht entscheidend.
Ihr Vater war in der Werbebranche. Auch Werbung erzählt Geschichten, weil eine Werbebotschaft auf diese Weise besser haften bleibt.
Marx: Mein Vater hat allerdings keine Werbetexte geschrieben. Er hat die Musik zu Slogans komponiert. Das waren oft die dümmsten Texte, die man sich vorstellen kann. Seine Musik war so eingängig, dass man die dämlichen Slogans ganz vergaß. Die Leute summten seine Melodien nach. Mein Vater war gleichwohl ein fantastischer Geschichten- und Witzeerzähler. Meine Mutter und ich liebten es, ihm zuzuhören.
Ihre Lieder verbinden eingängige Melodien mit Texten, die kurze Geschichten erzählen. Ich habe den Eindruck, dass das in den aktuellen Charts zunehmend selten wird.
Marx: Mag sein, aber es gibt natürlich jede Menge Ausnahmen. Kennen Sie Teitur?
Den Sänger von den Faröer-Inseln? Er ist großartig.
Marx: Sehen Sie! Er erzählt Wahnsinns-Geschichten in seinen Liedern. Ich muss aber zugeben, dass er nicht unbedingt in den Hitlisten dieser Welt auftaucht.
Was macht eine gute Geschichte aus?
Marx: Dafür gibt es keine Regeln. Anfang, Höhepunkt, Ende - das muss nicht sein. Denken Sie nur an mein Lied "Hazard". Das wurde zu einem Riesenerfolg, weil der Text vieles der Vorstellungskraft der Hörer überließ, glaube ich. Heute, fast 20 Jahre später, fragen mich manche Leute noch: Um was geht's in dem Lied eigentlich? Ich sage dann: Darauf habe ich keine Antwort. Jeder kann sich die Antwort heraussuchen, die ihm gefällt. Ich mag es, wenn Liedtexte ein bisschen komplexer sind.
Lionel Richie entdeckte Sie, als Sie 17 waren. Ist das die Geschichte Ihres Lebens?
Marx: Nein, überhaupt nicht. Ich verdanke ihm viel - aber die Geschichte meines Lebens? Nein.
Was also würden Sie als die Geschichte Ihres Lebens bezeichnen?
Marx: Bitte haben Sie Verständnis, diese Frage ist mir zu privat.
Das Interview führte Daniel Wirsching
Nächstes Konzert 12. November, München (Tonhalle), Tel. 0 89/54 81 81 81.
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