Tod eines US-Missionars: Sollte man unkontaktierte Völker besuchen?
Ein 27-jähriger US-Missionar wurde von einem isolierten Volk im indischen Ozean getötet. Warum der Kontakt für Besucher und Indigene gleichermaßen gefährlich ist.
Er hatte Angst vor seiner Mission im indischen Ozean und ahnte, dass sie ihn das Leben kosten würde. Das belegen Tagebucheinträge, die die Washington Post in Auszügen veröffentlichte. "Ich will nicht sterben", schrieb der Missionar in sein Tagebuch, nachdem ein Kind einen Pfeil auf ihn geschossen und seine Bibel getroffen hatte. Und doch kehrte der junge Mann zurück auf die Insel der Ureinwohner im Indischen Ozean - und ward nicht mehr lebend gesehen. Diese Szenen spielten sich nicht vor Hunderten Jahren ab, sondern vor weniger als zwei Wochen.
Der 27 Jahre alte US-Amerikaner John Chau hatte Fischer angeheuert, ihn auf die Nord-Sentinel-Insel zu bringen - Teil der Inselkette der Andamanen, die zu Indien gehört, aber näher bei Myanmar liegt. Er wollte die isoliert lebenden indigenen Bewohner zum Christentum bekehren. Zum Schutz der dort lebenden Ureinwohner - der sogenannten Sentinelesen, die als letztes steinzeitliches Volk der Welt gelten - ist es verboten, sich der nur rund 60 Quadratkilometer großen Insel mit von Sandstrand umringtem Wald auf weniger als fünf Kilometer zu nähern. Wie erwartet, griffen die Sentinelesen den 27-Jährigen an. Dabei ist bekannt, dass die Sentinelesen sich und ihre Insel stets mit Pfeil und Bogen gegen Fremde verteidigen.
Der Fall heizt die alte Debatte an, ob man zu sogenannten unkontaktierten Völkern denn nun Kontakt aufnehmen sollte oder nicht. War der Tod des Amerikaners entsprechend heldenhaft oder unbedacht? Und: Wie viele solcher Völker gibt es heute noch und was bedeutet eigentlich „unkontaktiert“?
Unkontaktierte Völker wollen meist keinen Kontakt zur globalisierten Außenwelt
In der Regel bezieht sich der Begriff "unkontaktiert" auf ethnische Gruppen, die isoliert von der globalisierten Mehrheitsgesellschaft leben – meist bewusst, um die Gruppe vor Krankheiten und Gewalt von außen zu schützen. Experten wie Linda Poppe von der Menschenrechtsorganisation Survival International erklären jedoch, dass der Begriff „unkontaktiert“ irreführend sei. Denn: Die meisten dieser Völker hätten Kontakt zur Außenwelt gehabt, zum Beispiel während der Kolonialzeit, und sich aufgrund schlechter Erfahrungen zurückgezogen. Poppe nennt beispielhaft Versklavung und eingeschleppte Infektionskrankheiten wie Masern oder Grippe sowie Regenwald-Abholzungen und Drogenschmuggel.
Außerdem ist ihr wichtig zu betonen, dass es sich um Menschen handle, die im Hier und Jetzt lebten und die nicht in der Zeit stehen geblieben seien - auch wenn sie nach wie vor als Jäger und Sammler und häufig nomadisch lebten. Sie hätten sich für dieses Leben entschieden und das müsse man respektieren.
Survival International geht nach eigenen Angaben von mehr als 100 unkontaktierten Völkern weltweit aus, überwiegend im Amazonasgebiet Südamerikas und in Asien. Nach gegenwärtigen Zahlen seien das in Brasilien etwas über 100, in Peru zwischen 15 und 18, in Papua circa zehn, in Kolumbien drei, in Ecuador zwei sowie je eine Gruppe in Paraguay, Bolivien und Indien.
Ethnologe Frank Heidemann, der an der Ludwig-Maximilian-Universität München unter anderem zu der indischen Inselgruppe Andamanen forscht, sagt, die Sentinelesen seien das einzige Volk, das tatsächlich nicht kontaktiert worden sei – ein absoluter Sonderfall, die extremste Form. Es gebe kaum Augenzeugen.
Denn bei den Sentinelesen handle es sich nicht um eine Gesellschaft, die sich vor ein paar Hundert Jahren zurückgezogen habe, sondern um Menschen, die seit zehntausenden Jahren isoliert auf der Insel lebten. Ohne Boote, ohne Angeln. Pfeil und Bogen seien ihre Jagdinstrumente. Auch zu britischer Kolonialzeit wehrten die Sentinelesen laut Heidemann Kontaktversuche ab und erlauben bis in die Gegenwart keine externen Besucher. Ihre Überlebensstrategie.
Deshalb hält Heidemann den Vorstoß des US-amerikanischen Missionars Chau auch für unverantwortlich, unüberlegt und naiv. Er habe die Ureinwohner der Gefahr ausgesetzt, sich mit Krankheiten anzustecken, gegen die sie nicht immun seien. So könne ein ganzes Volk ausgelöscht werden. Das wären bei den Sentinelesen schätzungsweise zwischen 50 und 100 Menschen.
Survival International-Sprecherin Linda Poppe fügt hinzu, dass eingeschleppte Krankheiten häufig ältere Personen eines Volkes treffen, die ihr Wissen weitergeben. Schafften sie das nicht mehr, gehe wertvolles Wissen verloren. Argumente von Kontakt-Befürwortern wie „Die können ja nicht ewig so weiter leben, das wäre auch für sie besser“ lässt Poppe nicht gelten. Oft stünden andere Interessen wie Rohstoffgewinn in deren Gebieten dahinter. Unkontaktierte Völker zu schützen sei eine politische Entscheidung und Pflicht der jeweiligen Regierung.
Außerdem nehme man den unkontaktierten Völkern so die Möglichkeit, selbst über den Kontakt zu entscheiden. Das sieht Frank Heidemann genauso: „Wenn sie wollen, kommen sie von selbst.“ (mit dpa)
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"Die können ja nicht ewig so weiter leben, das wäre auch für sie besser"
Amüsant an solcher Ignoranz ist ja auch, dass es genau umgekehrt ist. Diese wenigen ursprünglichen Völker leben noch im Einklang mit der Natur und können so tatsächlich ewig weiter leben.
Wir hingegen zerstören unsere eigenen Lebensgrundlagen mit unserer "Zivilisation". Gut möglich, dass nach Umweltzerstörung, Krieg, genetischen Experimenten oder Pandemie diese Inselbewohner die letzten überlebenden Homo Sapiens auf dem Planeten sind.