Bürgergeld: Alkohol und Zigaretten im Kinder-Regelsatz - Wie kann das sein?
Auch die Bürgergeld-Regelsätze für Kinder berücksichtigen den Bedarf für Tabak- und Alkoholkonsum. Doch warum ist das so?
Ein merkwürdige Berechnungsgrundlage sorgt derzeit für Kritik am neuen Bürgergeld-Gesetz. Der Grund ist eine Grafik, die in den Sozialen Netzwerken kursiert und zeigt, wie die Regelsätze berechnet werden. So werden laut Statistischem Bundesamt für Kinder unter 6 Jahren 7,16 Euro für Alkohol und 3,11 Euro für Tabak kalkuliert.
Experten sprechen daher von willkürlichen Regelsätzen für Kinder von Sozialhilfe-Empfängern, die die wahren Ausgaben für den Nachwuchs verkennen. Doch was steckt dahinter? Warum orientieren sich die Bürgergeld-Regelsätze auch für Kinder am Bedarf der Erwachsenen?
Bürgergeld: Wie werden die Regelsätze errechnet?
Wie der Verein "Für soziales Leben e. V." auf seiner Website erläutert, erfolgt die Berechnung der Bürgergeld-Höhe auf Basis einer statistischen Erfassung, die durch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) alle fünf Jahre durchgeführt wird. Hier flossen demnach die Einkommens- und Ausgabenverhältnisse von etwa 60.000 deutschen Haushalten ein.
Die Höhe des Regelsatzes orientiert sich dabei an den Verhältnissen der unteren 20 Prozent, so die Bürgergeld-Experten. Demnach resultieren die 502 Euro Bürgergeld pro Monat für eine alleinstehende, arbeitsfähige Person. Mit jedem Kind steigen zwar die Regelsätze, doch der Satz orientiert sich nicht am womöglich abweichenden Bedarf der zusätzlichen Familienmitglieder, sondern an den Regelsätzen für Erwachsenen.
Bürgergeld-Regelsätze für Kinder - Ministerium: "Familien wirtschaften gemeinsam"
Die starre und daher in der Praxis bizarre Bemessungsgrundlage der Regelsätze hat zur Folge, dass die eigentlichen Bedarfe von Kindern außen vor bleiben. Das wiederum führt dazu, dass Kinder für "Nahrung, Getränke und Tabakwaren" etwa 10 Euro für Tabak- und Zigarettenkonsum angerechnet bekommen, Familien von Sozialhilfe-Empfängern aber für Windeln oder Babynahrung dagegen keinen Extra-Cent vom Jobcenter sehen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bestätigt, "dass Verbrauchsausgaben für Kinder nicht gesondert ermittelt werden können, da die Familien gemeinsam wirtschaften und die EVS Verbrauchsausgaben nur für Haushalte ermitteln können." Wie derwesten.de berichtet, haben die veranschlagten Ausgaben für Zigaretten und Alkohol für Kinder derweil mehr als "Korrekturbetrag" zu gelten, der die fehlende Berücksichtigung von kinderspezifischen Ausgaben kompensieren soll. Dem Ministerium sei bekannt, dass "(kleine) Kinder keinen Alkohol und Tabak konsumieren."
Bürgergeld-Regelsätze für Kinder mit Alkohol und Zigaretten in der Kritik
Öffentliche Kritik an der Bemessungspraxis des Ministeriums äußert insbesondere der Wohlfahrtsverband. Joachim Rock, Abteilungsleiter für Sozial- und Europapolitik beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, schrieb auf Twitter: "Warum das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Existenzminimum für Kinder endlich an deren Bedarf bemessen muss? Weil es bisher von Erwachsenen abgeleitet wird."
Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, wird in der Wortwahl noch drastischer: "Wenn Kindern in der Statistik zur Berechnung der Regelsätze dem Kind 7 Euro im Monat für Alkohol und 3 für Zigaretten zugerechnet werden, sollte man diesen offenkundigen Statistikschwachsinn endlich beenden und sich fragen, was ein Kind braucht."
Das SOS Kinderdorf fordert daher eine Neuberechnung des Existenzminimums für Kinder. Vorstandsvorsitzende, Sabina Schutter, twitterte: "Die Regelsätze für Kinder müssen sich an kindsspezifischen Bedarfen orientieren. Schulhefte oder Windeln kommen im Erwachsenenleben kaum vor."