Dürfen Kinder Männer zum Vaterschaftstest zwingen?
Das Bundesverfassungsgericht prüft, inwieweit Kinder Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben.
"Wer ist mein Vater und wer meine Mutter?" Eine Gesetzeslücke, die Kindern diese Antwort in bestimmten Fällen verweigert, stand am heutigen Dienstag auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts. Auf den Weg gebracht hat das Verfahren die 65-jährige Klägerin Inge L. Sie will, dass ihr mutmaßlicher Vater, ein mittlerweile 88-Jähriger, sich nach all den Jahren endlich zu ihr bekennen muss. Nun könnte sie über ihren Einzelfall hinaus Rechtsgeschichte schreiben.
In dem Verfahren will das Gericht seinem Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof zufolge klären, inwieweit Kindern das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung zusteht. Zwar können Kinder eine Vaterschaftsklage mit allen rechtlichen Konsequenzen für ihre Erzeuger durchsetzen. Was aber, wenn sie schon erwachsen sind und für die Bewältigung der eigenen Biografie - und ohne weitere Ansprüche - nur wissen wollen, wer ihr leiblicher Vater ist?
Die Kenntnis der eigenen Herkunft ist auch im Erwachsenenalter bedeutend
Für solch eine Konstellation hat der Gesetzgeber 2008 mit Paragraf 1598a im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Regelung getroffen, die aber nur Kinder und deren rechtliche Väter betrifft - Männer also, die das Kind als ihres anerkannt haben. Mutmaßliche biologische Väter sind in dem Gesetz jedoch nicht genannt und können deshalb über diesen Weg nicht zu einem Gentest gezwungen werden.
Dass das Wissen um die eigene Abstammung die Individualität eines Menschen wesentlich bestimmt und Menschenwürde sowie Persönlichkeitsrecht betrifft, bestätigten Psychologinnen. "Identitätsfindung ist ein lebenslanger Prozess", sagte die Psychologin Anja Kannegießer in Karlsruhe und verwies darauf, dass die Kenntnis der eigenen Herkunft auch noch im Erwachsenenalter bedeutsam sei.
Die Kinder- und Jugendpsychologin Marion Schwarz sagte, Vaterlosigkeit sei ein blinder Fleck in der eigenen Biografie. Das Nichtwissen könne Betroffene ein Leben lang verfolgen. Aus den Fragen der Verfassungshüter wurde deutlich, dass sie den Gesetzgeber verpflichten könnten, Betroffenen wie Inge L. die Klärung ihrer Abstammung zu ermöglichen.
Betroffene müssen Hinweise für eine mutmaßliche Vaterschaft haben
Grenzenlos wird dieses Informationsrecht dem Gericht zufolge aber nicht sein: So könnte etwa in Einzelfällen das Bestehen einer "funktionierenden sozialen Familie" durch die Feststellung unzulässig beeinträchtigt werden, dass der Vater ein Seitensprungkind gezeugt hat.
"Entscheidungserheblich" ist für Kirchhof zudem, das Klagen auf Kenntnis der Vaterschaft gegen mehrere Männern - "also ins Blaue" hinein - nicht möglich sein dürfen. Auf eine andere Konstellation verwies Wolfgang Kreuter vom Deutschen Familiengerichtstag. Männer könnten umgekehrt behaupten, biologischer Vater eines Kindes zu sein, um damit Unfrieden etwa in die Familie einer früheren Partnerin zu tragen.
Klagen auf Kenntnis der Abstammung dürfte Karlsruhe der Verhandlung zufolge deshalb nur zulassen, wenn die Betroffenen gewichtige Hinweise für eine mutmaßliche Vaterschaft haben - wie die Klägerin: Ihre Geburt hatte der mutmaßliche Vater 1950 beim Standesamt gemeldet und ihr Jahre später auch ein selbst verfasstes Gedicht ins Poesiealbum geschrieben.
Ihr Fall wird nun zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Das Gericht fällt sein Urteil in einigen Monaten und könnte den Gesetzgeber zu einer Neuregelung etwa ab 2017 veranlassen. Bis über eine Klage der Frau entschieden ist, wäre der mutmaßliche Vater schon über 90 Jahre alt. afp / Jürgen Oeder
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