Wie sinnvoll sind Zusatzangebote der Ärzte?
Früherkennung, Zahnreinigung, Vorsorge: Oft werden Patienten in Arztpraxen Leistungen empfohlen, die sie selber zahlen sollen. Kassen und Ärzte streiten über den Nutzen und Gefahren. Wie Versicherte damit umgehen sollten
Für viele Ärzte sind die freiwilligen Zusatzangebote oft auch ein interessantes Geschäft. Auf weit über eine Milliarde Euro wird der Umsatz geschätzt, den Arztpraxen mit den sogenannten „individuellen Gesundheitsleistungen“ machen, die mit der putzig harmlosen Buchstabenkombination „IGeL“ abgekürzt werden. Sei es beim Frauen-, Augen- oder Zahnarzt: Die Mediziner versprechen Extras für eine angeblich sinnvolle, moderne und optimale Versorgung, die über die Leistungen der Krankenkassen hinausgehen: beispielsweise Ultraschalluntersuchungen, Glaukom-Früherkennung, professionelle Zahnreinigung, PSA-Wert-Bestimmung. Doch der medizinische Nutzen ist oft umstritten, und bei den Verbraucherzentralen gehen jedes Jahr unzählige Beschwerden ein.
Nicht immer belassen es Ärzte bei subtilem Druck, etwa mit Aussagen: „Das sollte Ihnen Ihre Gesundheit wert sein“, oft würden Patienten regelrecht pampig angegangen, wenn sie Zusatzangebote wie Augeninnendruckmessungen ausschlagen würden, berichten die Verbraucherzentralen, die inzwischen eine eigene Internetseite IGeL-Ärger.defür die Flut von Anfragen und Beschwerden eingerichtet haben, die vom Bundesgesundheitsministerium gefördert wird.
Noch kritischer sehen die IGeL-Angebote naturgemäß die Krankenkassen, die anderseits bei ihren Versicherten unter Rechtfertigungsdruck stehen, warum sie die Kosten für angeblich sinnvolle Leistungen nicht übernehmen. So bewertet der Medizinische Dienst der Krankenkassen die meisten IGe-Leistungen als negativ oder tendenziell negativ und warnt sogar vor gesundheitlichen Risiken. „Die IGeL-Angebote orientieren sich nicht am nachgewiesenen medizinischen Nutzen, sondern an den Vorlieben einzelner Arztgruppen und an den Umsatzinteressen der Praxen“, kritisierte der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes, Peter Pick.
Zum Teil würden Patienten auch unter Druck gesetzt, solche Leistungen zu kaufen. „Das ist nicht hinnehmbar“, erklärte Pick. Insgesamt bekomme jeder zweite Versicherte beim Arztbesuch Leistungen angeboten, die privat zu zahlen sind. Zu den häufigsten Leistungen gehört die Augeninnendruckmessung zur Früherkennung von Grauem Star. Diese Leistung wurde nach einer Umfrage unter mehr als 2000 Versicherten jedem Fünften angeboten, gefolgt vom Ultraschall der Eierstöcke und der Brust zur Krebsfrüherkennung bei Frauen.
Eher kritisch stuften die Medizinexperten der Kassen auch Angebote für Magnetresonanztomographien – MRT – zur Brustkrebs-Früherkennung ein. Für einen Nutzen gebe es keine Hinweise, durch Kontrastmittel aber mögliche Nebenwirkungen wie Übelkeit. Wie die Umfrage zeigt, ging nur bei vier Prozent der erbrachten Selbstzahlerleistungen die Initiative von Patienten aus. Mehr als jeder dritte Patient gab an, dass er sich bedrängt und unter Druck gesetzt fühlte. Beim Ultraschall zur Eierstockkrebs-Früherkennung beispielsweise sei das Wissen um mögliche Schäden und den geringen Nutzen seit langem bekannt.
Ärztevertreter weisen die Kritik zurück. Der Berufsverband der Frauenärzte wirft den Kassen vor, IGeL-Angebote „in Misskredit“ zu bringen und Misstrauen gegen Ärzte zu säen. Viele dieser Leistungen „sind so sinnvoll, in Studien erprobt und in Leitlinien empfohlen, dass sie eigentlich Kassenleistungen sein sollten“, erklärte Verbandspräsident Christian Albring. Das aber wollten die Kassen aus Kostengründen nicht.
Verbraucherschützer raten vor diesem Hintergrund, dass Patienten sich nicht drängen lassen sollten. Stattdessen sollten sie den Arzt nach Vor- und Nachteilen einer Behandlung fragen, die die Kasse nicht zahlt: Gibt es Risiken? Gibt es Studien zur Wirksamkeit? Außerdem sollte der Arzt erklären, ob es Alternativen gibt, die von der Kasse bezahlt werden. Im Anschluss sollte sich der Patient ruhig Zeit nehmen, bevor er etwas zusagt. Ein Arzt sei verpflichtet, die Patienten ausführlich zu informieren, auch mit verbindlichen Kostenvoranschlägen.
Zudem sollten Patienten bei der Krankenkasse nachfragen, ob sie sich doch an den Kosten beteiligt. Wenn eine Leistung nicht bezahlt werde, gebe es meist einen guten Grund, sagt auch Florian Lanz vom Kassenverband. Für Impfungen bei Fernreisen gelten oft unterschiedliche Regeln. Oft könne aber ein Anruf bei der Kasse helfen. Möglicherweise stellt sich heraus, dass der Arzt bei medizinischer Notwendigkeit gar kein Geld vom Patienten kassieren darf. (afp, dpa, AZ)
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