Noch immer erhebliche Defizite bei der Pflege
Jeder dritte pflegebedürftige Mensch bekommt zu wenig zu essen oder zu trinken. Das geht aus dem diesjährigen Pflegebericht hervor.
Berlin (dpa) - Bei der Pflege alter und hilfsbedürftiger Menschengibt es trotz einiger Fortschritte nach wie vor erhebliche Missstände.Das geht aus dem Pflegebericht des Medizinischen Dienstes derSpitzenverbände der Krankenkassen (MDS) hervor, der in Berlin vorgelegtwurde.
"Die Pflege hat nach wie vor ein Qualitätsproblem",sagte MDS-Geschäftsführer Peter Pick. Gesundheits- StaatssekretärinMarion Caspers-Merk (SPD) sprach von "skandalösen Einzelfällen, dieüberhaupt nicht zu beschönigen sind".
Pflegekassen undSozialverbände forderten härtere Konsequenzen gegen "schwarze Schafe"sowie mehr unangemeldete Kontrollen. Sie mahnten mehr Transparenz nachder anstehenden Reform der Pflegeversicherung an, etwa durchVeröffentlichung der Qualitätsberichte. Die Angehörigen müssten sehenkönnen, wem sie ihre Pflegebedürftigen anvertrauen. Teure Einrichtungenseien insgesamt nicht automatisch besser, hieß es beim MDS. DiePrüfungen hätten keinen Zusammenhang zwischen Kosten und Qualitätfestgestellt.
Die Prüfer des MDS stellten bei Kontrollen injüngster Zeit bei jedem zehnten Heimbewohner und bei 5,7 Prozent derPflegebedürftigen zu Hause einen "akut unzureichenden Pflegezustand"fest. Im ersten, 2004 vorgelegten Bericht, war dies noch bei 17,4Prozent der Heimbewohner und bei 8,8 der Pflegebedürftigen zu Hause derFall.
Allerdings weist der Bereich nach wie vor Mängel im BereichErnährung und Flüssigkeitsversorgung der Pflegebedürftigen aus. Beietwa jedem dritten Pflegefall (Heime: 34,4 Prozent; ambulante Pflege:29,6 Prozent) stellten die Prüfer Defizite fest. Sie kritisierten etwaunzureichende Gewichtskontrollen oder eine fehlende Ermittlung desEnergiebedarfs der Bewohner. Dies bedeute aber nicht unbedingt, dassdie Betroffenen unterversorgt oder mangelhaft ernährt seien, betonteJürgen Brüggemann vom MDS.
Mehr als 35 Prozent der Heimbewohnerund etwa 42 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause werden dem Berichtzufolge nicht häufig genug umgebettet. Dies lasse wiederum keineRückschlüsse darauf zu, ob bei den Betroffenen schon akuteGesundheitsprobleme wie Wundliegen (Dekubitus) aufgetreten seien.
DieSituation habe sich erkennbar verbessert, es bestehe aber nach wie vorHandlungsbedarf, sagte MDS-Geschäftsführer Pick. Begriffe ausMedienberichten wie "Pflege-Schock" oder "Pflege-Skandal" wies Pickaber entschieden zurück. Caspers-Merk sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa: "Noch vor einigen Jahren war die Pflegequalität in vielenEinrichtungen deutlich schlechter." Sie verwies zudem darauf, dassHeimen bereits heute Fristen gesetzt würden, Missstände abzustellen.
DieReaktionen auf den Bericht reichen von "Pflege-Katastrophe" bis "diePflege ist besser als ihr Ruf". Sozialverbände räumten ein, dass eserhebliche Verbesserungspotenziale in der Pflege gebe. Sie warntenzudem vor einem Verdrängungswettbewerb und Preisdumping. DerPflegeexperte Claus Fussek sagte der "Frankfurter Rundschau" (Samstag):"Was macht man bei einem Betrieb, der Gammelfleisch verkauft? Er wirdzugemacht. Ich begreife nicht, warum schlechte Pflegeheime nichtgeschlossen werden."
Der Chef des Verbands derAngestellten-Krankenkassen, Werner Gerdelmann, forderte härtereKonsequenzen bei qualitativ schlechten Pflegeeinrichtungen. "SchwarzeSchafe" müssten im Extremfall leichter aus der Versorgungherausgenommen werden können. Dies sei heute ein langwierigerjuristischer Weg. Zudem forderte er klare gesetzliche Standards für dieZertifizierung von Pflegeeinrichtungen.
Caspers-Merk versicherte,die anstehenden Pflegereform werde für mehr Transparenz sorgen.Qualitätsberichte über einzelne Einrichtungen müssten danach künftigveröffentlicht werden. "Nur Transparenz wird dabei helfen, dass manMissstände aufdeckt." Sie rief gute Einrichtungen ausdrücklich auf, mitihrer Pflegequalität zu werben, nicht nur mit niedrigen Kosten.
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