Richterspruch mit bitterem Beigeschmack
RAF-Terrorist Christian Klar wird freigelassen. Dieses an sich korrekte Urteil ruft zwiespältige Gefühle hervor. Ein Kommentar von Walter Roller
Der Serienmörder Klar kommt auf freien Fuß. 26 Jahre war die gerichtlich festgelegte Mindesthaftzeit, 26 Jahre muss der zu fünfmal lebenslang verurteilte Top-Terrorist der Rote Armee Fraktion (RAF) absitzen. Der Rechtsstaat, den Klar & Konsorten einst als "Schweinesystem" bekämpft haben, gewährt einem erklärten Feind die Chance auf Bewährung.
Auch der Schwerverbrecher Klar, der zwischen 1977 und 1982 an nahezu allen Bluttaten der RAF beteiligt war, kommt in den Genuss eines Rechtssystems, das Buße, aber keine Rache kennt.
Man mag darüber philosophieren, ob 26 Jahre für neun Morde und elf Mordversuche angemessen sind. Wer den Gedanken der Resozialisierung mitsamt der Absage an eine Haft bis zum Lebensende ernst nimmt und A sagt, muss auch B sagen. Der Gerechtigkeit wäre mit 30 oder 32 Jahren hinter Gittern wohl nicht besser gedient.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat über die emotional aufgeladene Frage, ob 26 abgesessene Jahre eine hinreichend lange Strafe für die Kapitalverbrechen Klars sind, nicht räsoniert. Da die Mindesthaftzeit in einem früheren Urteil bereits festgelegt war, ging es - wie im Fall Mohnhaupt - nur noch darum, ob Klar weiter eine Gefahr darstellt.
Da dies nach Einschätzung der Richter nicht der Fall ist und die RAF Geschichte ist, war die Freilassung auf Bewährung die logische Konsequenz. Es zeichnet den Rechtsstaat aus, dass er nach Recht und Gesetz entscheidet und auch die Menschenwürde von Schwerverbrechern achtet. Dies ist keine Schwäche, sondern eine Stärke - so lange jedenfalls, wie sich die günstige Prognose von Gutachtern als richtig erweist.
Ein bitterer Beigeschmack bleibt trotzdem. Die Empörung der bis heute leidenden Angehörigen der Menschen, die dem Fanatismus zum Opfer gefallen sind, ist gut zu verstehen. Sie haben über all die Jahre hinweg weniger Aufmerksamkeit und Zusprache erfahren als manche jener RAF-Mörder, deren Abgleiten in den menschenverachtenden Terrorismus gelegentlich als verständlicher Irrweg verharmlost wurde.
Auch kollidiert die Freilassung Klars mit dem Rechtsempfinden der Bevölkerungsmehrheit.
Deren Verständnis wäre ungleich größer, wenn Klar Reue und Einsicht gezeigt und einen Beitrag zur Aufklärung einiger Morde geleistet hätte. Stattdessen schwadroniert der Mann, dem der Bundespräsident 2007 sogar die Gunst eines Gesprächs über das Begnadigungsgesuch gewährt hatte, über die "Vollendung" der Pläne zur Beseitigung des Kapitalismus. Die Richter, so will es das Gesetz, hatten über diese ideologische Verbohrtheit und über diese Gefühlskälte nicht zu befinden. Daher rühren die zwiespältigen Gefühle, die dieses an sich korrekte Urteil hervorruft.
Die Diskussion ist geschlossen.