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  3. Udo Di Fabio im Interview: "Vieles spricht dafür, dass wir mehr und nicht weniger arbeiten müssen"

Interview
19.03.2024

Di Fabio: "Vieles spricht dafür, dass wir mehr und nicht weniger arbeiten müssen"

Udo Di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., sagt: "Viele Menschen spüren, dass die wohlhabende und politisch stabile Bundesrepublik in einer Phase ist, wo der wirtschaftliche Abstieg sowie der Verlust innerer und äußerer Sicherheit drohen kann."
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio sieht Deutschland in einer herausfordernden Phase. Der Sozialstaat brauche Wirtschaftswachstum, zu Regieren werde schwieriger und ausgerechnet die Mitte sei weniger stabil.

Herr Di Fabio, Bauerndemos, Eisenbahnerstreiks und jetzt auch die großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus – ist dieser Zustand der Dauererregung Ausdruck von begrüßenswertem bürgerschaftlichem Engagement oder eher ein Zeichen, dass etwas nicht im Lot ist?

Udo di Fabio: Man muss sicher nicht jedes Geschehen, wie etwa den Bahnstreik, gleich in ein großes Szenario des Niedergangs einordnen. Gleichwohl ist die demokratische Mitte verunsichert. Viele Menschen spüren, dass die wohlhabende und politisch stabile Bundesrepublik in einer Phase ist, wo der wirtschaftliche Abstieg sowie der Verlust innerer und äußerer Sicherheit drohen können. Das dämpft das Zukunftsvertrauen. Besorgniserregende Ereignisse, wie die demoskopische Stärke der AfD oder des BSW, werden so in ein Licht getaucht, das wie die Abenddämmerung der Republik aussieht. 

Viele Bürgerinnen und Bürger merken, dass es an ihrem Leben nicht spurlos vorübergeht, wenn die Welt sich zulasten Deutschlands ändert. Unser exportorientiertes Wirtschaftsmodell ist anfällig für Krisen und militärische Sicherheit durch die USA womöglich bald Vergangenheit. 

Di Fabio: Als der Bundeskanzler nach dem Überfall Putins auf die Ukraine die Zeitenwende ausgerufen hat, war das das Signal, geopolitische Veränderungen wahrzunehmen und unser gesamtes politisches, soziales und wirtschaftliches Modell daran anzupassen. Es hapert allerdings am Vollzug, und der ist ja auch alles andere als einfach. Es geht um die Änderung dessen, was wir jahrzehntelang als „Modell Deutschland“ bezeichnet haben. Exportorientiert nach außen, sozialstaatlich im Inneren, dazu kam ab den 1990er-Jahren eine starke ökologische Orientierung. 

Nach der Wiedervereinigung und dem Sieg des Westens im Kalten Krieg schien dieses Modell weltweit auf dem Vormarsch ... 

Di Fabio: … inzwischen aber leben wir in einer anderen Welt. Die vormalige Dominanz des Westens ist nicht ganz verschwunden, aber sie ist herausgefordert. Wir sind in einer geopolitisch agonalen, das heißt kämpferischen, Situation. Heute befindet sich das liberale europäische Sozial- und Gesellschaftsmodell unter Druck. Manches, was bislang selbstverständlich war – gute Straßen und Schienen, bezahlbare Energie, ein verlässliches Gesundheitssystem, sichere Renten –, ist nicht mehr selbstverständlich. Die Gesellschaft hat ihre politischen Prioritäten bislang auf einer sicheren Grundlage von Stabilität und Wohlstand setzen können. Jetzt werden wir neu gewichten müssen. 

Die Frage ist doch, ob die Menschen in Deutschland dazu bereit sind. Sie selbst haben sich aus einer italienischen Einwandererfamilie an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts hochgekämpft, doch heute sind solche Aufsteigerbiografien in Deutschland selten geworden. 

Di Fabio: Da bin mir gar gar nicht so sicher, vielleicht reden wir zu wenig über Erfolgsgeschichten. Es lohnt sich darüber nachzudenken, warum Erzählungen persönlicher Leistungen, etwa bei jungen „Start-ups“, weniger Aufmerksamkeit finden als Berichte von Weltreisen. Was ist in der eigenen Wertschätzung wichtiger: Arbeit oder Freizeit? Eine prosperierende Gesellschaft tendiert verständlicherweise zu postmateriellen Orientierungen. Doch vieles spricht dafür, dass wir mehr und nicht weniger arbeiten müssen, um das gewohnte Niveau zu halten. 

Die Bundesrepublik gilt manchen als Schönwetterrepublik, weil die Demokratie in der Regel von wachsendem wirtschaftlichem Wohlstand begleitet wurde. Was passiert, wenn wir uns dauerhaft auf wirtschaftlich schwierigere Zeiten einstellen müssen? 

Di Fabio: Diese Frage hat bereits die Väter und Mütter des Grundgesetzes umgetrieben, immerhin war es ja die Weltwirtschaftskrise, die mit dazu führte, dass sich die gesellschaftliche Mitte von der Weimarer Republik abwandte. Unsere Demokratie heute ist jedoch wesentlich stärker verankert. Die Deutschen haben ihre historische Lektion gelernt. Das ist auch der Grund, warum heute Hunderttausende auf die Straße gehen, damit keine Machtergreifung 2.0. vonstattengeht. Gleichzeitig erleben wir einen gewissen Verlust von Stabilität in der Mitte. Mit dem Aufkommen populistischer oder radikaler Parteien wird es schwieriger, regierungsfähige Mehrheiten zu bilden. Anstehende Landtagswahlen in diesem Jahr könnten uns da echte Probleme bescheren. Wenn die Ränder stärker werden, droht eine gefährliche Alternative: Entweder man versucht dann doch demokratisch zweifelhafte Parteien „einzubinden“ und riskiert so ihren Zugang zu den Schaltstellen der Macht. Oder man nimmt eine wachsende Blockade in Kauf durch Koalitionen, die programmatisch nicht zueinanderpassen und auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner regieren müssen. Besonnene Wählerinnen und Wähler können ein solches Dilemma verhindern. Andernfalls müssten die demokratischen Parteien ideologischen Ballast abwerfen und so etwas wie ein Große Koalition der Zeitenwende schließen, die glaubhaft drängende Probleme löst.

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Legen wir uns angesichts dieser Herausforderungen mit der Schuldenbremse und der sehr engen Interpretation des Bundesverfassungsgerichts nicht zu starke Fesseln an? 

Di Fabio: Die nötige Neujustierung der Politik erzeugt unangenehmen Handlungsdruck. Wenn an mehreren Stellen die Ausgaben steigen müssen für Verteidigung, Infrastruktur oder Klimaschutz, dann stellt sich die Frage, wo an anderer Stelle gespart werden kann oder wie man Einnahmen steigert, ohne die Chance auf Wachstum zu gefährden. Den Ausweg, mit neuen Schulden ein Ventil zu öffnen, hat das Bundesverfassungsgericht versperrt. Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts vollstreckt das, was die Parteien mit zwei Dritteln Mehrheit in Bundestag und Bundesrat ins Grundgesetz geschrieben haben – die verschärfte Schuldenregel. 

Es läuft also auf die Frage hinaus, was wichtiger ist: die Bundeswehr zu ertüchtigen oder den Sozialstaat im gegenwärtigen Umfang zu erhalten?

Di Fabio: In Zeiten der Zeitenwende ist es gar nicht so einfach, Prioritäten zu setzen, weil überall Handlungsbedarf besteht. Mangelnde Vorsorge in der Vergangenheit finden wir an vielen Stellen der öffentlichen Infrastruktur, nicht nur bei Autobahnbrücken oder dem Schienennetz. Wir haben an der Bundeswehr jahrzehntelang außenpolitisch naiv gespart, mit der Folge, dass sie heute den neuen Aufgaben nicht gewachsen scheint. Das müssen wir ändern. Diese Priorität hat uns Putin von außen aufgedrängt. Der Umfang sozialer Leistungen hingegen war schon immer vom wirtschaftlichen Erfolg der Republik abhängig. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont. Bei einem Nullwachstum darf man keine Zuwächse bei Sozialleistungen erwarten. Den starken Sozialstaat bekommen wir nur über eine wachsende Wirtschaft.

Der Kanzler hingegen sagt, am Alltag der Bürger werde sich nichts ändern. 

Di Fabio: Solange die massive Bedrohungslage von außen anhält und im Inneren erhebliche Strukturprobleme bestehen, sollte man den Gedanken der Zeitenwende vielleicht anders ausfüllen als mit einer sympathischen Beruhigungsformel. Es muss nicht gleich die Churchill-Rede von 1940 sein, als der neue Kriegspremier davon gesprochen hat, er habe nichts anzubieten außer „Blut, Schweiß und Tränen“.

Die Ampelregierung hingegen beschließt ein Gesetz zur Legalisierung von Cannabis. Das wirkt schon fast wie eine Art Ersatzhandlung. 

Di Fabio: Es haben sich im Bund Parteien zu einer mehrheitsfähigen Regierung zusammengefunden, die sich programmatisch bei manch hartem Thema nicht sonderlich nahestehen. Die Folge: Obwohl der politische Handlungsdruck beträchtlich ist, wirkt die Regierung unentschieden oder zögerlich. Da liegt es nahe, sich bei „weicheren“ Themen zu einigen. Vorhaben wie die Legalisierung von Cannabis kosten nichts, schließen aber die eigenen Reihen und funktionieren gut, wenn die Opposition dagegen ist. Das Problem ist nur: Die Menschen sind nicht verunsichert, weil sie bislang zu große Schwierigkeiten hatten, an Cannabis zu gelangen, sondern weil sie meinen, dass im politischen oder wirtschaftlichen Kernbereich zu wenig vorangeht. 

Umso mehr kommt es auf den Kanzler an. 

Di Fabio: Ich fand es nie falsch, zu sagen, wir sind eine Kanzlerdemokratie. Die Richtlinien der Politik bestimmt der Kanzler, er muss für Gesetzgebung indes über eine verlässliche Mehrheit im Bundestag verfügen. Die Erfahrungen zeigen, dass ein Bundeskanzler seine Partei und die Koalitionspartner durch eine von ihm kraftvoll vertretene konzeptionelle Politik mitreißen kann. 

So wie Helmut Schmidt zum Beispiel, beim Nato-Doppelbeschluss.

Di Fabio: Genau. Sie können auch noch weiter zurückgehen, zu Konrad Adenauer und der Westbindung, Ludwig Erhard und der sozialen Marktwirtschaft, zu Willy Brandts Entspannungspolitik oder zur Arbeitsmarktreform unter Gerhard Schröder. Richtlinienkompetenz bedeutet auch die Verpflichtung zu führen. Das Grundgesetz weist dem Kanzler keine reaktive, sondern eine aktive Rolle zu. 

In diese Lücke drohen andere zu stoßen. Ist die Demokratie in Gefahr, wenn Björn Höcke in Thüringen Ministerpräsident wird? 

Di Fabio: Teile der AfD scheinen mir gefährlich für die Republik. Nicht nur, wenn sie unsere freiheitliche demokratische Grundordnung oder die verfassungsrechtliche Menschen- und Staatsbürgeridee verändern wollen, sondern auch, wenn sie zu starke Sympathien für eine ausländische feindliche Macht zeigen. Würden Staatsgeheimnisse noch sicher vor Putin gewahrt, wenn bestimmte Parteien in Regierungsverantwortung gelangten? 

Das beste Rezept gegen Wahlsiege der AfD wäre, wenn Regierung und Opposition endlich die Probleme angehen, die die AfD groß machen – beispielsweise das Thema Migration. 

Di Fabio: Ein stabiler Staat braucht eine personelle Kontrolle über sein Gebiet. Es gibt Menschenrechte mit Ansprüchen auf Schutz und Asyl, aber nicht auf unbegrenzte Einwanderung. Ein Satz, wonach im Zeitalter der Globalisierung Grenzen nicht mehr kontrollierbar seien, ist nicht richtig. Es droht gewiss keine „Umvolkung“, wie rechte Verschwörungstheorien das suggerieren wollen. Doch die Demokratie hat das Recht, die Bedingungen ihrer Hilfeleistung sittlich selbst zu bestimmen und eine wirtschaftlich motivierte Einwanderung, die wir ja brauchen, nach bestimmten Kriterien festzulegen und zu steuern.

Sollte man wichtige Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht besonders schützen, für den Fall, dass die AfD in Regierungsämter kommt?

Di Fabio: Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts und auch Grundsätze des Wahlmodus stehen heute schon im Grundgesetz. Was dort nicht steht, ist die Länge der Amtszeit oder die Zweidrittelmehrheit, die erforderlich ist, um Verfassungsrichter durch Bundestag und Bundesrat zu wählen. 

Die Befürchtung ist, dass sich die AfD nach dem Vorbild der ehemaligen PiS-Regierung in Polen daran macht, Richter, die ihnen nicht genehm sind, auszusortieren. 

Di Fabio: Die PiS hatte in zwei Wahlen eine Mehrheit erreicht, die für die AfD auf Bundesebene nicht in Sicht ist. In Polen hat man Richter rascher ausgewechselt, unter anderem, indem man das Rentenalter herabgesetzt hat. Solche Manipulationen kann man verhindern, wenn man die Amtszeit und die Altersgrenze von Verfassungsrichtern ins Grundgesetz schreibt. Das Zwei-Drittel-Erfordernis für die Wahl würde ich dagegen nicht ins Grundgesetz aufnehmen. Wenn die These stimmt, dass Mehrheiten im Parlament künftig wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft schwerer zu bekommen sind, dann könnte es kontraproduktiv sein, das Erfordernis einer Zwei-drittelmehrheit im Grundgesetz zu verankern. Dann hätten die radikalen Populisten womöglich bald eine Sperrminorität. Ich halte das an diesem Punkt nicht für zu Ende gedacht. 

Wie stehen Sie zur Frage eines Verbots der AfD? 

Di Fabio: Die Hürde für ein Parteiverbot ist hoch. Man muss der Partei eine aggressiv kämpferische Haltung gegen das demokratische System nachweisen, etwa aus ihrem Parteiprogramm heraus oder aus dem typischen, repräsentativen Verhalten ihrer Mitglieder. Ich weiß nicht, ob das bislang gesammelte Material dafür heute ausreicht. Wenn allerdings der bislang zu beobachtende Vorgang der inneren Radikalisierung mit personellen Verbindungen zur Neonaziszene anhält, werden womöglich andere Einschätzungen näherliegen. Das Parteiverbotsverfahren bleibt ein scharfes Schwert der wehrhaften Demokratie.

Unser Grundgesetz wird im Mai 75 Jahre alt. Bietet es noch die richtige Grundlage für die Probleme des 21. Jahrhunderts – Klimawandel, globale Migrationsströme, zunehmende außenpolitische Polarisierung? 

Di Fabio: Ja, das tut es. 1949 konnte man vieles nicht voraussehen, was uns heute beschäftigt, das stimmt schon. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten das einstmals Undenkbare erlebt. Der Zusammenbruch der Weimarer Demokratie und der Sturz in eine brutale Diktatur: Das war ungleich dramatischer als die heutige Lage. Das Grundgesetz wollte einen erneuten Zivilisationsbruch mit allen Mitteln der Verfassungsgebung verhindern. Wir sollten deshalb das antitotalitäre Grundgesetz als Schatz begreifen, der große historische Erfahrung in sich trägt. Dazu gehört übrigens auch die schwarz-rot-goldene Fahne, das von den Feinden der Demokratie lange bekämpfte Symbol unseres Verfassungsstaats. Dieses Symbol darf man nicht den Rändern überlassen. Die israelische linke Opposition würde nicht im Traum daran denken, bei ihren Demonstrationen auf die Israel-Flagge zu verzichten. Wäre es nicht ein großartiges Bekenntnis zu unserer Verfassung, wenn die Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus diese Fahne massenhaft zeigen würden? 

Zur Person: Udo Di Fabio, 69, war von 1999 bis Dezember 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Er ist Professor und Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. 

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