Ich schau dir in die Augen, Casablanca
Millionen Menschen verbinden Casablanca mit dem berühmten Film. Doch die Stadt hat mit Hollywood wenig gemein. Hier steht zum Beispiel die zweitgrößte Moschee der Welt auf Klippen.
Natürlich haben wir es gesagt, vor dem Abflug an Gate A02 des Flughafens Casablanca, es war wie im Film – nur hat es nicht geregnet und ich habe auch nicht geweint: „Ich schau dir in die Augen, Kleines.“ Mit diesen sieben Worten nebst Komma hat Humphrey Bogart seine Ingrid Bergmann und Millionen Casablanca-Fans zu Tränen gerührt, die Szene am Flughafen gehört zu den berühmtesten der Filmgeschichte.
Casablanca: Barackensiedlung trifft auf Schick von Strandboulevards
Doch das moderne Casablanca (wörtlich: „weißes Haus“) ist anders als die Sequenzen im mehr als 70Jahre alten Schwarz-Weiß-Klassiker. In der Millionen-Metropole treffen heute Armut und Barackensiedlungen auf den Schick von Stadtrand- und Strandboulevards. Auf den Klippen steht die nach Mekka zweitgrößte Moschee der Welt. König Hassan II. ließ sie in den 90er Jahren erbauen, allein der Gebetsraum fasst 20000 Menschen, 100000 haben auf dem Gelände Platz, sinnbildlich berührt hier der Glaube das Meer. Nur diese eine Moschee Marokkos dürfen Touristen besichtigen, eine Straßenbahnfahrt entfernt verlängern sie bei Cocktails und Sonnenuntergang an den Hotelpools den Sommer. Wen es weiterzieht, der gelangt mit dem Zug in eineinhalb Stunden in die Hauptstadt Rabat.
Sozialer Brennpunkt des Landes, größte Stadt des Königreichs und morbide Diva, um die Elendsviertel wuchern: Der Name Casablanca bedient Klischees, dabei wurde der Film mehrheitlich in den Filmstudios gedreht. In den engen Gassen der Altstadt und rund um die Moschee Hassan II. finden angeblich die Mitglieder der Magreb-Al-Kaida Unterschlupf, vor mehr als sechs Jahrhunderten hausten dort Seeräuber. Den märchenhaften Glanz anderer marokkanischer Touristenorte sucht man in Casablanca jedoch vergeblich. Wer den Charme der modernen Metropole zu fassen versucht, findet ihn zwischen reißendem Verkehr, bröckelnden Fassaden und nordafrikanischen Großstadtbauten.
Ein Hauch von Orient ist da dennoch, zum Beispiel in den Suiten des Hotels Maamoura, zentral zwischen der alten Medina und dem Lebensmittelmarkt in der Rue Ibnou Batouta gelegen. Die teuersten Zimmer warten mit Stuck, Ornamenten und marokkanischen Möbeln auf. Auf der Dachterrasse geht der Blick über die Stadt, einige Minuten Fußmarsch sind es bis zur Straßenbahn, die an der überdachten Markthalle und am zentralen Boulevard Mohammed V. hält. Es ist ein günstiger Stopp, um sich mit Obst für den Ausflug einzudecken.
Casablanca: Auf den Spuren des Filmklassikers
Bei unserem Besuch steigen wir zum ersten Mal in Casablancas Straßenbahn. Das Netz quer durch die Stadt und bis in die modernen Vororte ist seit 2012 in Betrieb, wir waren 2002 zuletzt da – und damals ohnehin nur auf der Durchreise. In den verstopften Straßen ist die Bahn schneller als das Taxi, die Wagen sind klimatisiert, und das Ticket kostet gerade einmal 50 Cent. Wer länger bleibt, für den lohnen sich die aufladbaren Mehrfach-Tickets – und jede Fahrt ist Transport und Stadtrundfahrt zugleich. Zum Besuch der Moschee Hassan II. allerdings müssen Touristen weiterhin zu Fuß aufbrechen. Die Bahnlinie quer durch Casablanca knickt nicht hinunter ans Meer ab, sondern führt seitlich vorbei zum Strand. Dafür öffnet sich beim Fußmarsch durch die Gassen der Blick auf Hauseingänge, frisch gewaschene Wäsche auf Leinen und spielende Kinder im Schmutz der ungepflasterten Durchgänge.
Wer in alldem ein Stück Casablanca des Filmklassikers sucht, trifft einige hundert Meter vor der Moschee auf „Rick’s Cafe“. Es handelt sich nicht etwa um einen authentischen Schauplatz, das Café in Anlehnung an die Filmszenen gibt es erst seit einigen Jahren in Casablanca. Eine frühere US-Diplomatin hat es (mitsamt Dresscode und viel Schwarz-Weiß-Nostalgie) als erfolgreiche Geschäftsidee eröffnet (www.rickscafe.ma).
Die gigantische Moschee ist Denkmal und Sinnbild in einem
Am Ende des Marsches entlang einer mehrspurigen Straße erheben sich schließlich eindrucksvoll die Moschee und ihr 200 Meter hohes Minarett. Hassan II., der Vater des amtierenden Königs Mohammed VI., hat die Moschee der Superlative bauen lassen und dafür immense Steuern erhoben. Das Außenplateau bietet 80.000 Menschen zum Gebet unter freiem Himmel Platz, 3700 Kilogramm wiegen die Goldkugeln auf der Spitze des Minaretts. Das Dach des Gebetsraums lässt sich öffnen, dann scheint die Sonne hinein: Es ist ein Symbol für die Elemente Wasser, Erde und Himmel – so wie die gigantische Moschee Denkmal und Sinnbild in einem ist. Für König Hassan II., aber auch für die religiösen Fundamentalisten des Landes, die mit diesem Bau besänftigt werden sollten.
Für Touristen ist die zweitgrößte Moschee der Welt ein Sightseeing-Höhepunkt in Casablanca, zu festen Zeiten ist sie für Besucher geöffnet (vormittags und nachmittags, Führungen in mehreren Sprachen, Frauen brauchen ein Kopftuch). Rings um den monumentalen Sakralbau sind die hochfliegenden Neubaupläne allerdings gescheitert. Das Armenviertel jenseits der Moschee sollte einem modernen Wohnviertel mit Uferpromenade weichen. Wegen der horrenden Kosten wurde jedoch nur ein Teil tatsächlich gebaut. Auf dem Weg zurück zur alten Medina, in der Verkäufer von Ledertaschen, bemalten Teegläsern und Silbertabletts um Käufer buhlen, ergibt sich ein unvermuteter Anblick: Ein riesiges Graffiti über mehrere Hauswände, das in scharfem Kontrast steht zu Casablancas vorbeieilenden Frauen in islamischen Gewändern und Kopftüchern. Gegenüber der bunten Hauswand spielen Kinder: Reittiere, Rutsche und riesige Hüpfburgen stehen auf einer Insel inmitten des Verkehrs, mannshoch umzäunt.
Auch Kinder kommen in Casablanca auf ihre Kosten
Überhaupt, Casablanca mit Kindern: Das geht besser, als es auf den ersten Blick scheint. Am Place Mohamed V, nicht weit von Casablancas früherer Kathedrale Sacre Coeur aus dem Jahr 1930, werden neben den Ständen der Schnecken-Verkäufer (und ja: hier geht es tatsächlich um einen beliebten Imbiss in Plastikbechern!) allabendlich ein gutes Dutzend Elektroautos und Miniatur-Motorräder für kleine Parkbesucher aufgebaut: ein Riesenspaß für ein paar Cent. Der Nachwuchs von Touristen und wohlhabenden Marokkanern in der Sommerfrische kommt aber auch in den Strandvororten Casablancas auf seine Kosten. Im Einkaufszentrum von Ain Diab hat die Eishockeybahn selbst bei hohen Außentemperaturen geöffnet – und beim Einkauf in den Geschäften westlicher Bekleidungsketten ist Vorsicht geboten: Auf akkubetriebenen Reittieren düsen Kinder durch die Gänge des klimatisierten Einkaufstempels.
Jenseits seiner Geschäfte und Imbiss-Läden enden Urlaubstage in Casablanca doch noch filmreif-kitschig: mit einem Bummel über den Boulevard von Ain Diab, vorbei an Schnellrestaurants und Tanzclubs bis hinunter zu den Sandstrand-Streifen der Spa-Hotels. Dort brandet die Gischt des Atlantiks hoch – vom Zentrum gelangt man mit der Straßenbahn dorthin. Wer für die letzten Meter zwischen Endstation und Hotelmeile in ein Taxi steigt, sollte aufpassen: Viele Fahrer verlangen Fantasiepreise, hier hilft nur hartnäckiges Verhandeln! Wer das hinter sich gebracht hat, für den gibt es zum Ausklang des Casablanca-Aufenthalts an der Promenade genügend Wlan-Einwahlpunkte, um nach passenden Filmzitaten zu suchen. Wie wäre es mit diesem: „Küss mich, als wäre es das letzte Mal.“
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