Der Gigant aus der Wüste: Saudi Aramco soll an die Börse
Kronprinz Mohammed bin Salman pokert mit dem wertvollsten Konzern der Welt: Ölgigant Saudi Aramco will eine Anleihe herausgeben. Doch das ist gar nicht so einfach.
Gigantische Pipelines ziehen sich bis zum Horizont. Monumentale Raffinerien ragen in den blauen Himmel. Hunderte silbriger Öltanks glitzern auf Ras Tanura in der Sonne, eine Landzunge, von der das schwarze Gold Saudi-Arabiens auf Supertanker verladen wird. Gut zehn Millionen Barrel fließen jeden Tag durch die saudischen Pumpstationen am Persischen Golf, mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Das Wüstenkönigreich ist die größte Tankstelle des Globus, betrieben von Saudi Aramco, dessen Sitz in Dhahran im Osten des Landes liegt.
Jahrzehntelang wurde über die paradiesischen Profite des Ölgiganten spekuliert, ohne dass jemals solide Geschäftszahlen nach außen drangen. Insofern war diese Woche eine Premiere. Zum ersten Mal legte der Energieriese die Karten auf den Tisch – und präsentierte für 2018 gleich einen Weltrekord. Der operative Gewinn vor Steuern und Abschreibungen (Ebitda) lag bei 224 Milliarden Dollar, also umgerechnet 200 Milliarden Euro. Das ist fast dreimal so hoch wie beim iPhone-Konzern Apple, der auf 82 Milliarden Dollar kam, und viermal so hoch wie bei Google. Netto blieb Saudi Aramco ein Gewinn von 111 Milliarden Dollar, ebenfalls bei weitem mehr als alle anderen Giganten.
Saudi-Arabien lebt vom Öl
Dieser Erfolg wundert nicht, schließlich sitzt Saudi Aramco auf den wertvollsten Erdöl-Vorkommen der Erde. Unter dem Wüstensand Saudi-Arabiens liegen 20 Prozent der weltweiten Reserven. Und nirgendwo lassen sie sich leichter und preiswerter ausbeuten als hier. Von Anfang an war Saudi Aramco eine Erfolgsgeschichte. 1933 als Konsortium amerikanischer Ölfirmen gegründet, wurde der Konzern in den 70er Jahren verstaatlicht. Seitdem hütete das Königshaus das Ausmaß des jährlichen Dollarsegens wie ein Staatsgeheimnis.
Nun also der aufsehenerregende Sinneswandel von der Geheimniskrämerei zur Transparenz. Der Grund: Saudi Aramco will eine Anleihe herausgeben, um sich von internationalen Investoren 10 bis 15 Milliarden Dollar für den Erwerb des staatlichen Chemiekonzerns Sabic zu borgen. Die aber kaufen keine Katze im Sack. Sie wollen wissen, ob der neue Schuldner vertrauenswürdig ist. Und so blieb den Ölmanagern nichts anderes übrig, als erstmals ihre Bilanzen preiszugeben. Die beiden renommierten Ratingagenturen Moody’s und Fitch zeigten sich zufrieden und stellten sehr gute Noten aus – Moody’s ein A1 und Fitch ein A+. Für künftige Gläubiger heißt das, sie können ziemlich sicher sein, dass der Öltitan seine Schulden zurückzahlen kann.
Das geliehene Geld will Saudi Aramco einsetzen, um den eigenen Wert durch Zukäufe zu steigern, auf den ersten Blick eine merkwürdige Strategie für das profitabelste Unternehmen der Welt. Doch Kronprinz Mohammed bin Salman plant ein delikates Manöver. Er will fünf Prozent des Ausnahmekonzerns an die Börse bringen und damit 100 Milliarden Dollar einstreichen, um seine ehrgeizigen Modernisierungspläne zu finanzieren.
Arbeitsplätze sollen entstehen
„Vision 2030“ heißt das Reformvorhaben, mit dem der Thronfolger seine Nation aus ihrer verkrusteten Lethargie heraustreiben, seine Landsleute ans Arbeiten kriegen und den aufgeblähten Staatsapparat auf Trab bringen will. Denn nur so lassen sich die Ziele seiner gesellschaftlichen Agenda verwirklichen – die brisante Arbeitslosigkeit unter dem saudischen Nachwuchs entschärfen und die extreme Abhängigkeit vom Öl reduzieren. Die Staatskasse lebt zu 90 Prozent vom Ölexport. Obendrein muss Saudi Aramco 8000 Prinzen versorgen, die opulente monatliche Apanagen beziehen.
Die erhofften 100 Milliarden Dollar aus einem Fünf-Prozent-Verkauf jedoch lassen sich nur realisieren, wenn der Gesamtwert auf zwei Billionen Dollar taxiert wird. Doch Investoren zweifeln, ob der Ölriese tatsächlich so viel wert ist. Sie kalkulieren eher mit 1,2 bis 1,5 Billionen Dollar. Und so blies das Königshaus den Börsengang im letzten Herbst zunächst einmal ab. Im Jahr 2021 will man einen neuen Anlauf wagen und bis dahin den Aramco-Unternehmenswert durch Zukäufe aufpolieren. Erster Schritt ist die 70-Prozent-Übernahme des Chemieproduzenten Sabic, ein 69-Milliarden-Dollar Geschäft, was zum Teil durch Kredite finanziert werden soll. Andere Firmenkäufe, so im Flüssiggas-Sektor, sollen folgen.
Welche Zukunft hat Öl überhaupt?
Ob diese Strategie am Ende aufgeht, steht in den Sternen. Denn zum einen hat das internationale Ansehen des saudischen Chefreformers in letzter Zeit beträchtlich gelitten. Der vierjährige Krieg im Jemen, den Mohammed bin Salman im März 2015 vom Zaun brach, ist für die Vereinten Nationen „die größte menschliche Katastrophe der Gegenwart“. Und seit dem skrupellosen Mord an dem Journalisten Dschamal Kaschoggi sind auch in der internationalen Geschäftswelt die Sympathien für den Kronprinzen spürbar erkaltet. Die ausländischen Investitionen sind eingebrochen.
Aber auch der Klimawandel bringt die Ölindustrie zunehmend in Misskredit. Es gebe eine „Krise der Wahrnehmung“, auch in der Finanzwelt, beklagte jüngst Aramco-Chef Amin Nasser. Bei Politikern, Regierungsbehörden und Investment-Häusern wachse die beunruhigende Überzeugung, „dass wir eine Industrie mit geringer oder gar keiner Zukunft mehr sind“, erklärte er. Solche Ansichten basierten nicht auf Fakten und Logik, sondern seien Reaktionen auf öffentlichen Druck und Medienrummel. „Trotzdem werden diese Ansichten ernsthaft vertreten, und auch unsere langjährigen Partner lassen sich ganz eindeutig anstecken.“
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