Nach 100 Tagen als Präsident: Kettensäge Milei ist noch stumpf
Argentiniens Präsident Javier Milei ist seit gut drei Monaten im Amt und versetzt das südamerikanische Land in Aufregung. Seine erste Bilanz ist durchwachsen.
Seit 100 Tagen sägt sie nun, die „Motosierra“, die Kettensäge von Argentiniens Präsident Javier Milei. Ebendiese war das Symbol im erfolgreichen Wahlkampf des libertären Präsidenten. Doch bislang ist sie weitgehend stumpf geblieben. Sowohl im Kongress als auch im Senat gab es angesichts der fehlenden Mehrheitsverhältnisse teilweise herbe Abstimmungsniederlagen für den radikal-marktliberalen Präsidenten. Die konservative Tageszeitung Clarin kommentierte deswegen: „Milei vergeudet seine besten Tage“. Ähnlich sieht es der in Buenos Aires ansässige deutsche Wirtschaftsberater und Analyst Carlos Moses „Dabei wären Mehrheiten für marktfreundliche Reformen eigentlich vorhanden, wenn Milei den Bogen nicht überspannen würde“, sagt Moses im Gespräch mit unserer Redaktion.
Tatsächlich geht Milei recht „robust“ mit jenen Kräften um, die ihm die Zustimmung zum umfassenden Reformprogramm zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Sanierung des hoch verschuldeten Staates verweigern. Antipatriotisch seien die, Verräter gar. Eigentlich müsste Milei angesichts fehlender Mehrheiten in den Parlamenten parteiübergreifend verhandeln. Das fällt dem egozentrischen Ökonomen aber schwer. Weshalb die im vergangenen Jahr krachend abgewählte Opposition nach drei Monaten bereits wieder Hoffnung schöpft. "Es wäre ein Wunder, wenn Javier Milei vier Jahre durchhält", wird Emilio Persico von der peronistischen „Bewegung Evita“ in den argentinischen Medien zitiert.
Seit Milei im Amt ist: Die hohe Inflation in Argentinien sinkt
Dabei gibt es durchaus Silberstreife am Horizont. Die Inflation in Argentinien geht zurück. Im Dezember lag sie infolge der drastischen Peso-Abwertung noch bei 25 Prozent, im Januar sank sie auf rund 20 Prozent und im Februar auf nun „nur“ noch 13,2 Prozent. Ein Erfolg, den Milei zunächst für sich beanspruchte, ehe er einen Tag später einräumte, auch diese Zahl sei eine „Tragödie“ für die argentinische Bevölkerung. Positiv ist auch der erste Haushaltsüberschuss seit Jahren in Höhe von 622 Millionen US-Dollar. Es sind diese kleinen Schritte, die im Milei-Lager Hoffnung wecken, die Kehrtwende tatsächlich zu schaffen. Mitte Dezember hatte Milei ein völlig überschuldetes Land mit Massenarmut und hoher Inflation übernommen. Er plante seine „Schocktherapie“ und kündigte deshalb ein schweres erstes Jahr in seiner Amtszeit an. Dann soll es aber aufwärts gehen.
Die Zahl der Bedürftigen in Argentinien steigt
Wie schwer dieses erste Jahr tatsächlich ist, zeigen die Zahlen des Sozialobservatoriums der Katholischen Universität UCA. Deren Messung der Armutsrate gilt als politisch unabhängig und hat bislang noch jede Regierung in Bedrängnis gebracht. Auch Milei macht nun diese Erfahrung: Seit seinem Amtsantritt ist die Zahl der Bedürftigen nochmals von 45 Prozent auf 57 Prozent gestiegen.
Argentiniens Armenpriester, traditionell dem langen regierenden überwiegend linksgerichteten Peronismus zugetan, schlagen Alarm. "Wir sind zutiefst beunruhigt über die Brutalität der von der nationalen Regierung durchgeführten Anpassungen, die vor allem ärmere Volksschichten, die Arbeitnehmer und die Rentner treffen", heißt es in einer am Wochenende veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. Der spanisch-stämmige Armenpriester "Paco" Olveira wirft Milei vor: "Die Idee der Regierung ist es, alle gemeinschaftlichen, sozialen und politischen Organisationen zu zerstören.“
Javier Mileis Popularität ist etwas gesunken
Mileis Popularitätswerte haben zwar leicht eingebüßt, doch es scheint, dass die Schocktherapie immer noch den Rückhalt der Wählerschaft hat. An deren Ende soll etwas Neues, Besseres entstehen. So hat es der Präsident versprochen, doch seine Reformen werden blockiert. Der wenig kompromissbereite Milei macht die Opposition verantwortlich, die ihre Privilegien und Einnahmen verteidigen wolle.
Außenpolitisch hat sich Milei in den ersten 100 Tagen ziemlich eindeutig positioniert. Er stellt sich auf die Seite Israels und der Ukraine, versucht die Verbindungen nach Europa und in die USA zu stärken. Die deutsche Wirtschafts- und Außenpolitik sucht inzwischen die Nähe Mileis, denn Argentinien hat neben Rohstoffen einiges zu bieten. Geht dessen Schocktherapie auf, würde ein schlafender südamerikanischer Riese geweckt. Gelingt es, will Berlin offenbar von Anfang an profitieren.
„German Accelerator“: Deutschland setzt auf Milei
Vor wenigen Tagen wurde der Startschuss des Programmes für Start-ups mit dem Namen „German Accelerator“ (Beschleuniger) in Buenos Aires gegeben. Damit will Berlin eine Brücke bauen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit verbessern. Mit Milei, dem Verfechter des freien Marktes, dürfte sich in Argentinien auch die Start-up-Szene kräftig weiter entwickeln, so das Kalkül.
Auch bei den wieder einmal ins Stocken geratenen Freihandels-Verhandlungen der EU mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur hoffen Berlin und Brüssel auf Milei, der zudem eine weitere Expansion Chinas aus dem Kontinent wegen seiner kritischen Haltung zu Peking eindämmen soll. Ob das alles gelingt, ist fraglich, denn die argentinische Realität ist erst einmal eine andere: Ohne eine echte Perspektive für die Armen und die gebeutelte Mittelschicht wird es mittelfristig jede Regierung in Buenos Aires schwer haben. Sicher ist nur eines: Auch unter Milei erwartet das ehemals reichste Land Südamerikas sehr turbulente und aufregende Zeiten.
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