Augsburg: Pfleger bekommen nur 4,40 Euro pro Hausbesuch
Über 4000 pflegebedürftige Menschen in Augsburg werden zu Hause versorgt. Wenn Angehörige an ihre Grenzen geraten, helfen ambulante Pflegedienste. Doch diese sind längst selbst zum Pflegefall geworden. Von Ute Krogull
Über 4000 pflegebedürftige Menschen in Augsburg werden zu Hause versorgt. Oft kümmern sich Angehörige um sie, doch wenn jemand allein lebt oder Familienmitglieder an ihre Grenzen geraten, helfen ambulante Pflegedienste. Diese sind längst selber ein Pflegefall.
Zwischen ihrem Aufwand und der Kostenerstattung durch Pflege- und Krankenkassen klafft eine Lücke, die schon manche Sozialstation in den Ruin trieb und derentwegen Betrügereien in der Branche immer mehr werden, wie Arbeiterwohlfahrt-Geschäftsführer Eckard Rasehorn zu berichten weiß. Jetzt hat die Branche genug. Pflegerinnen demonstrieren und im August macht eine Kampagne auf das Problem aufmerksam.
In Augsburg gibt es fast 50 ambulante Dienste, teils privat, teils von Wohlfahrtsverbänden getragen. Eine Sozialstation versorgt 80 bis 100 Patienten. Sie alle erhielten laut Rasehorn in den vergangenen zehn Jahren nur eine Vergütungserhöhung von insgesamt 4,5 Prozent, während in Heimen die Sätze kontinuierlich stiegen. Daher klafft zwischen den tatsächlichen Kosten der Dienste von 43 bis 48 Euro pro Stunde und den Zahlungen der Kassen eine Lücke von fast 20 Euro.
Das führt laut Rasehorn zu einer "Minutenpflege", in der für Menschlichkeit kaum noch Zeit bleibe. Die Mitarbeiter geraten in ein Spannungsfeld. Manchmal sind sie die einzigen Personen, die ein bettlägriger Mensch den ganzen Tag sieht. Auf sie prasselt dann oft das ganze Leid der alten Menschen ein. Und oft erledigen sie Dinge, die nicht zu ihren Aufgaben gehören: die Glühbirne auswechseln, den Vermieter anrufen, einen Brief erklären. Einerseits aus Mitleid, andererseits aber auch, weil ihnen sonst die Kundschaft abspringen könnte. Der Druck ist da, private Dienste schießen wie Pilze aus dem Boden.
In Insiderkreisen weiß daher jeder, dass es am besten ist, möglichst viele Leistungen zu veranschlagen, obwohl die vielleicht gar nicht nötig sind. Oft rentiert sich ein Hausbesuch nur so, denn als Grundpauschale zahlen die Kassen dafür nur 4,40 Euro. Andere rechnen Leistungen ab, die gar nicht erbracht wurden. Das Verhalten solcher schwarzen Schafe bekommen die Kassen natürlich auch mit. Also erhöhen sie den Druck; die Bürokratie wächst.
Laut Rasehorn verbringen Mitarbeiter nur 55 Prozent ihrer Arbeitszeit mit den Klienten, der Rest geht für Fahrten und Dokumentation drauf. Es gibt Dienste, die lassen diese Zeit nicht als Arbeitszeit gelten. So entstehen Dumping-Löhne.
Das alles führt nicht gerade zu Motivation von Mitarbeitern und zu qualitätvoller Pflege. Bei Kontrollen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen erhielt ein Drittel der ambulanten Dienste in Bayern schlechte Noten für die Pflege.
Die Kampagne der ambulanten Dienste fordert daher eine deutliche Steigerung der Vergütung (mindestens zehn Prozent) sowie eine gezielte, effektive Kontrolle durch die Kassen statt immer mehr Bürokratie. Dafür gehen die Mitarbeiter auf die Straße.
Unter anderem soll es einen Autokorso mit 150 Fahrzeugen geben. Als die Polizei fragte, wie der sich auflösen wird, war die Antwort leicht: Jeder fährt so schnell wie möglich zum nächsten Klienten. Von Ute Krogull
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