Der Himmel über Augsburg
Wollte man diese Zeilen über den anspruchsvollen Auftritt des Enrico Rava Quintets im Botanischen Garten an die Form des Abends anpassen, dann dürften eben diese Zeilen nur aus zwei langen, komplex-mäandernden Sätzen bestehen, die dem Leser an Verdichtung so viel zumuten, wie dieser Jazz um seiner Qualität willen den vielen Hundert Hörern rund um den Rosenpavillon zumutete - und dann müsste hier im ersten Satz ausführlich die Rede davon sein, wie der Trompeter Enrico Rava seine jüngeren, ebenso virtuosen Begleiter immer wieder dazu anhält, den Mainstream-Jazz zu entgrenzen, über den Tellerrand hinaus auch auf die kantigen Jazz-Idiome und auf andere Musikrichtungen zu schauen, auf dass durch die Einbindung von Free Jazz und den Ausdrucksformen zeitgenössischer Musik, dazu durch die Verknüpfung mit Bossa nova, Traditionals und Smooth-Jazz ja keine Song-Reihung entstehe, sondern eine in sich geschlossene Suite, die in den entscheidenden Passagen wie auf Papier komponiert wirkt, aber natürlich dennoch viele introvertierte und extrovertierte Soli enthält.
Pause
Und der zweite Satz müsste davon handeln, wie fünf hervorragende Musiker in schnellen Fraktionswechseln, überraschenden Rhythmus- und Tempomodifikationen eine musikalische Volte nach der anderen schlagen, wie der bald 70-jährige Enrico Rava und sein fast noch jugendlicher Posaunist Giovanni Petrella in einen hoch virtuosen, zweistimmig-swingenden Schlagabtausch treten - Höhepunkt des Auftritts -, wie der Bassist Pietro Leveratti immer wieder auch mehrstimmig grundiert, wie der aufmerksame Schlagzeuger Fabrizio Sferra eher dient als sich produziert und der Pianist Giovanni Guidi regelmäßig mit treibenden "Rolling"-Bassmodellen jenes Fundament legt, auf dem sich dann bei diesem Enrico-Rava-Querschnitt seiner letzten Künstlerjahre hinreißende Spontanaktionen entwickeln.
Zwei kurze Zugaben, zwei kurze Nachklappsätze: Wenn der begnadete Stilist Rava seine mal glasklaren, mal melancholisch patinierten Trompeten-Kürzel solistisch-flüsternd wie ein Selbstgespräch einflicht, dann öffnet sich der Himmel über Augsburg. Für rund 700 Hörer ein geistreich-konzentrierter Abend.
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