Augsburgs Verdi-Chef: "Die Wirtschaft ist auf Migration angewiesen"
Verdi unterstützt Demos gegen Rechtsextremismus. Ihr Augsburger Chef, Erdem Altinisik,erklärt, warum das für Wirtschaft und Gesellschaft wichtig ist.
Warum ist es Verdi als Gewerkschaft wichtig, ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzten und Menschen zu animieren, sich öffentlich für die Demokratie einzusetzen?
Erdem Altinisik: Es ist Teil unserer Satzung, die demokratische Grundordnung zu verteidigen und uns gegen rassistische und faschistische Bestrebungen einzusetzen und diese zu bekämpfen. Es ist ein Grundanliegen von Verdi, dass wir nicht nur in einer demokratischen Gesellschaft leben, sondern auch arbeiten. Und ganz abgesehen davon, dass menschenverachtende Weltbilder keine Option sind, braucht die Wirtschaft Migration.
Sie spielen vermutlich auf den Personalmangel an, oder?
Altinisik: Ja genau. Die Unternehmen in Augsburg und der Region sind zwingend auf Migration angewiesen. Es ist ja bekannt, dass wir einen Arbeitskräftemangel haben, dem nur mit gestalteter Migration begegnet werden kann. Wir können diesen schon längst nicht mehr nur mit Menschen nicht-migrantischen Ursprungs bedienen. Man kann also nicht einfach, weil es an der ein oder anderen Stelle zu Problemen kommt, die Migration als Gesamtes infrage stellen.
Wie hoch ist denn der Migrationsanteil der Beschäftigten in Verdi-Unternehmen in Augsburg und der Region?
Altinisik: Dazu haben wir keine Zahlen, da für uns der Migrationshintergrund keine Rolle spielt. Wir sehen den Menschen und Kollegen. Ganz allgemein gesagt gibt es natürlich Bereiche, in denen der Anteil an Beschäftigten mit Migrationshintergrund besonders hoch ist. Denken sie beispielsweise an den Bereich Entsorgung oder die Transportbranche oder auch Teile der Pflege.
Was wäre denn, wenn diese Menschen aus Deutschland, wie auf dem Geheimtreffen in Potsdam offenbar gefordert, vertrieben würden?
Altinisik: Man darf darüber überhaupt nicht nachdenken. Diese Option besteht aus meiner Sicht nicht. Für die Wirtschaft betrachtet würde eine solche Entscheidung in manchen Betrieben sicherlich einen gewissen Stillstand bedeuten. Aber noch einmal: Es geht nicht nur um die Unternehmen oder die Gewerkschaften. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Positionierung hin zur demokratischen Grundordnung und weg von menschenverachtender Unterscheidung durch Rassismus. Die ganze Gesellschaft muss hier eine Antwort geben, dass es nicht der richtige Weg sein kann, Menschen zu deportieren oder abzuschieben.
Sie selbst haben auch Migrationshintergrund. Wie empfinden Sie die aktuellen Ereignisse und Debatten?
Altinisik: Meine Eltern kamen mit dem Anwerbeabkommen nach Deutschland. Ich bin hier geboren. Ich fühle mich als Teil dieser Gesellschaft. Und natürlich war mir schon früher bewusst, dass es Menschen gibt, die ein menschenverachtendes Menschenbild haben. Das betrübt mich natürlich, wie man so sein kann. Aber da hilft es nur, sich dagegenzustellen. Ich werde mich daher auch entsprechend positionieren. Das hat aber nicht direkt mit meinem Migrationshintergrund als solchem zu tun, sondern mit meiner Überzeugung, dass kein Mensch nach seiner Herkunft beurteilt werden darf.
Wie funktioniert das Miteinander der Nationalitäten und Kulturen in den Betrieben?
Altinisik: Ein Miteinander verschiedener Nationalitäten auf dem Arbeitsmarkt haben wir ja schon seit Jahrzehnten. Das klappt und ist eine Bereicherung sowohl für die Unternehmen als auch die Gesellschaft. Ja, es kommt auch einmal zu Konflikten, aber das liegt weniger an der Migration als an menschlichen Defiziten. Oft findet eine Betrachtung nur problemorientiert statt. Dass vieles gut und wie selbstverständlich funktioniert, gerät gerne einmal aus dem Blickfeld. Aber diesen Blick müssen wir wieder schärfen.
Zur Person: Erdem Altinisik (43) ist Chef der Gewerkschaft Verdi in Augsburg. Der Bundesverband hat zusammen mit anderen Schwestergewerkschaften des DGB dazu aufgefordert, ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.
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