Tito & Tarantula: "Wir haben etwas überlebt, was die ganze Welt durchgemacht hat"
Tito Larriva ist der wohl kultigste Mexikaner der Rockmusik. Vor dem Auftritt in Augsburg erzählt er, was er von Quentin Tarantino gelernt hat und wie er in Amerika Rassismus erlebt.
Ihre aktuelle Single heißt "Sneer at the Drummer" (den Schlagzeuger angrinsen). Was ist los mit Ihrem Taktgeber?
Larriva: Ich war letztes Jahr auf einem Stevie-Nicks-Konzert in Austin, Texas. Ein Freund von mir begleitet die Fleetwod-Mac-Sängerin immer auf der Bühne, der Gitarrist Waddy Wachtel. Immer, wenn er auf der Bühne für den nächsten Song bereit ist, grinst er den Schlagzeuger irgendwie spöttisch an à la: Komm schon, sei ein harter Kerl! Ich sah ihn das immer wieder tun und dachte: "Was für eine seltsame, coole Sache!"
Im Mai erscheint nach "X The Soul" und "Sneer at the Drummer" die dritte Single von Ihrem kommenden Album "Brincamos!" Erzählen Sie in den neuen Songs viel Persönliches?
Larriva: Wahrscheinlich wird "99.9" die nächste Single sein. In den meisten Fällen basiert der Text auf einer realen Sache, etwas, das ich selbst erlebt habe. Und daraus entwickele ich dann eine Story wie ein Drehbuchautor. Aber bei "99.9" gefiel mir einfach der Rhythmus der Zahl. Der Song geht um die Idee, perfekt zu sein. Fast einhundert Prozent ist eine interessante Stufe von perfekt, eine imaginäre Frau, die ein Prozent weniger perfekt ist. Und das ist eine schöne Sache, denn 100 Prozent wäre langweilig.
Im Pressetext heißt es, "Brincamos!" sei eine klangliche Reise, die die Tiefen der menschlichen Seele erforscht. Soll Ihr kommendes Album ein bestimmtes Lebensgefühl ausdrücken?
Larriva: So sehe ich das nicht, denn bei mir hat jeder Song seine eigene Idee oder sein eigenes Herz. In den 1970ern machten Bands wie The Moody Blues, Pink Floyd oder Led Zeppelin Platten mit einer Idee, die sich durch das ganze Opus zog. Das habe ich geliebt. Ich würde gerne einmal ein solches Album machen, es ist fast wie ein Musical, es hat einen roten Faden. Unser kommendes Album wird auch einen roten Faden in Bezug auf den Stil haben, aber es ist nicht wie eine einzige Idee. Für mich hat jede Song-Geschichte einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende. Ich erinnere, wie ich einmal mit Robert Rodriguez und Quentin Tarantino in einem angemieteten Haus in Hollywood war und sie darüber sprachen, wie sich der Film und die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer verändert hätten.
Wie denn?
Larriva: Die Leute seien nicht mehr mit einer zweistündigen Handlung zufrieden. Quentin meinte: "15 Minuten - das ist die Aufmerksamkeitsspanne der neuen Generation. Also schreiben wir einzelne Kapitel mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Fünf Minuten, fünf Minuten, fünf Minuten. Das ist die Geschichte. Und dann fangen wir mit 15 neuen Minuten an und machen das wieder so." Wenn man sich Tarantinos "Pulp Fiction" anschaut, kann man fast mit einer Uhr danebensitzen. So viele Geschichten in zwei Stunden, fünf Minuten pro Abschnitt. Und es funktioniert. Mit der Musik ist es auch so, ein klassischer Song dauert nur drei Minuten.
"Brincamos!" soll Ende des Jahres erscheinen. Wird es ein eher typisches Tito & Tarantula-Album werden?
Larriva: Ich glaube, es wird etwas anders. Das hat mit der Pandemie zu tun und mit dem Bewusstsein, etwas überlebt zu haben, was die ganze Welt durchgemacht hat. Das macht einen irgendwie klarer. Zeit ist kostbar, das wissen wir jetzt. Man sollte also nicht zu viel Zeit damit verschwenden, über unausgegorene Ideen nachzudenken, die man in etwas Interessantes verwandeln könnte. Früher habe ich oft eine Idee erzwungen, ich wollte da unbedingt etwas draus machen, aber es war eigentlich nicht nötig. Ich hätte einfach von vorne anfangen können mit etwas anderem, das flüssiger ist. In diesem Fall ist das bei den meisten Songs auch passiert.
Leben Sie eigentlich noch immer in Austin im US-Bundesstaat Texas?
Larriva: Ja, aber wir würden gern wegziehen. Wir wollen dort nicht mehr sein. Zu viele Republikaner! Wir haben 32 Jahre lang in Kalifornien gelebt und wollen nun dorthin zurück oder vielleicht sogar nach Spanien oder Deutschland. Es ist so offensichtlich, was vor sich geht, und der Rassismus ist hier wirklich groß, weil ich Mexikaner bin. Die Leute sagen die ganze Zeit etwas Schlechtes zu mir.
Der voraussichtliche republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump behauptet, Mexikaner seien Vergewaltiger und würden Drogen und Kriminalität ins Land bringen. Was bedeutet das für Sie persönlich?
Larriva: Leute sagen oft zu mir: "Geh zurück nach Mexiko!" Sie fahren an mir vorbei und schreien Sachen wie "Scheiß Mexikaner!" Das ist schlimm.
Befürchten Sie, dass Trump wiedergewählt wird?
Larriva: Nein, er steckt zu tief in der Scheiße. Die republikanische Partei beschwert sich nicht über ihn, aber unter dem Tisch wird geredet: Er ist ein Arschloch! Die einzige Möglichkeit, wie ich mir vorstellen kann, dass er gewinnt, wäre, wenn Joe Biden einen merkwürdigen Unfall hätte. Es müsste schon etwas wirklich Drastisches passieren, damit Trump das Rennen macht.
Zur Person: Tito Larriva, 70, Sänger, Gitarrist und Schauspieler geht nach fünfjähriger Pause wieder mit seiner psychedelischen Tex-Mex-Punkrockband Tito & Tarantula auf Tournee. Auf der Bühne verwandelt er sich in sein alter Ego als blutverschmierter Bandleader. Am Dienstag, 23. April, tritt die Band im Spectrum in Augsburg auf.
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