Die Lawinengefahr wird im Frühjahr oft unterschätzt
Frühling - Skitourenzeit. Aber gerade jetzt kann es gefährlich werden in den Bergen: Sonne und Regen weichen den Schnee auf, tonnenschwere Nassschneelawinen geraten ins Rutschen.
Die Luft ist frühlingshaft lau, weißer Altschnee lockt abseits der Pisten. Doch Sonne und Regen machen den Schnee schwer. Gerade das Frühjahr bringt in den Bergen eine oft tödliche Bedrohung: Nassschneelawinen. Während im Tal Krokusse und Tulpen sprießen, ist die Warnstufe in diesen Tagen mancherorts zeitweise auf den Wert vier der fünfstufigen Skala angehoben worden. Über Ostern, wenn noch einmal viele Tourengeher unterwegs sind, könnte die Gefahr erhöht bleiben.
"Das Regenwasser dringt in tiefe Schneeschichten ein und bildet vor allem auf Wiesengrund einem rutschigen Schmierfilm, auf dem Lawinen abgehen können", sagt Stefan Winter, Sicherheitsexperte beim Deutschen Alpenverein (DAV). Weiter oben wiederum gibt es Neuschnee, der Sturm verfrachtet die weißen Massen. Auch das erhöht die Gefahr.
Binnen zwei Wochen rissen Lawinen in den Alpen mindestens ein halbes Dutzend Menschen in den Tod. Am vergangenen Wochenende starben im Piemont ein erfahrener italienischer Bergführer und ein französischer Skifahrer. Sie hatten sich per Helikopter auf den Monte Terra Nera im Susatal bringen lassen. Bei der Abfahrt riss ein 200 Meter breites Schneebrett die beiden zu Tal. Ein anderer Bergführer wurde am Sonntag am Kitzsteinhorn teils verschüttet - ausgerechnet bei einem Lawinenkurs. Er überlebte dank seines Airbag-Rucksacks unverletzt.
Die schöne Landschaft trügt oft
Besonders bei schönem Wetter wirkt die Landschaft trügerisch harmlos. Nach einem perfekten Skitag bei strahlender Sonne wollten ein Sportlehrer aus Freising und sein 62-jähriger Vater die letzte Abfahrt im Osttiroler Skigebiet Brunnalm genießen. Sie verließen die Piste - und fuhren ins Verderben. Vor den Augen des Vaters wurde der Sohn verschüttet. Ein Fuß ragte noch aus dem Schnee - der Vater versucht den Sohn auszugraben, nimmt die Ski zu Hilfe. Ohne Erfolg. Am Morgen wäre der Schnee vermutlich noch hart gewesen - und nicht abgerutscht.
"Die Sonne hat schon richtig Kraft", sagt Thomas Griesbeck von der Bergwacht Bayern. "Die Hänge, die in der prallen Sonne liegen, sind besonders gefährdet." Der Schnee taut, wird schwer und gleitet auf dem Grund ab. Innere Verletzungen lassen Verschütteten oft keine Überlebenschance.
Manchmal gibt es kleine Wunder. Im Embachkar im Pinzgau retteten Helfer kürzlich nach eineinhalb Stunden eine Frau aus dem Berchtesgadener Land aus einer 200 mal 400 Meter großen Lawine, die ihre Gruppe gegen Mittag in 1700 Metern Höhe losgetreten hatte. Die Frau hatte nicht einmal ein Verschütteten-Suchgerät bei sich. Doch ein Lawinenhund machte sie schließlich unter dem Schnee ausfindig.
Statistisch sinken die Überlebenschancen nach 15 bis 35 Minuten auf ein Drittel, nach 90 Minuten werden nur sieben Prozent der Opfer lebend gerettet. "Es gibt immer wieder die Möglichkeit länger zu überleben, etwa wenn der Verunglückte eine große Atemhöhle hat", sagt DAV-Sprecherin Andrea Händel. Auch der junge Freisinger war eineinhalb Stunden unter dem Schnee - für ihn kam aber jede Hilfe zu spät.
25 Tote zählten die österreichischen Behörden in dieser Saison - elf waren es im Vorjahr. 28 Menschen starben in der Schweiz. "Von einem Katastrophenwinter braucht man nicht sprechen", sagt Winter. "Aber es gab viele Tote." Ausgerechnet in dieser schneearmen Saison. Denn: "Weniger Schnee heißt nicht sicherer. Wenig Schnee führt sogar oft zu höherer Lawinengefahr." Verfrachtungen durch den Wind machen gerade dann Übergänge zwischen wenig und viel Schnee zu instabilen Stellen.
Oft mangelt es an Erfahrung
Solche Situationen einzuschätzen erfordert Erfahrung - die Neulingen im boomenden Bergsport oft fehlt. An der Rotwand bei Schliersee versuchten Schneeschuhgeher eine steile Rinne entlang von Skispuren hinaufzusteigen. Erst auf Warnrufe von Tourengehern drehten sie um. Hier fahren Geübte auf Skiern ab - doch ein Aufstieg ist zu riskant. Gibt es auf Skiern bei eher langsamen Grundlawinen eine gewisse Chance zu entkommen, ist das zu Fuß meist aussichtslos.
"Schneeschuhgeher sind oft Quereinsteiger und kommen eigentlich aus dem Wandern", sagt Griesbeck. "Sie kennen die Wege möglicherweise vom Sommer - und gehen sie auch im Winter." Dabei liegen Sommerwege oft in Gefahrenzonen.
Auch der Lawinenlagebericht bietet keine endgültige Sicherheit. Durch die teils geringen Schneefälle und starken Wind variiert die Gefahr gerade in diesem Jahr oft auf wenigen Metern, wie DAV-Sprecherin Händel erläutert. "Das macht die Beurteilung besonders schwierig."
Wenn in den nächsten Tagen der Wind abnimmt und es kalt wird, festigt sich der Schnee; die Lage wird sicherer - und das Wetter soll besser werden. Alpenvereins-Experte Winter: "Die Woche nach Ostern könnte richtig gut werden." dpa
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