Kommen, bleiben, lesen
Leseecken laden zum Verweilen. Kürzlich bekam aber eine Kundin Hausverbot
München Woran denkt der Münchner oder auch der Tourist beim Stichwort Marienplatz in München? Sicherlich an das Rathaus, an Stadtführungen, an Busse und Taxis. An eine Oase der Ruhe? Wohl kaum.
Manche Menschen jedoch sehen das anders – sie finden in der Buchhandlung Hugendubel am Marienplatz Ruhe und Entspannung. Ein Dialog, zufällig mitgehört, in der dortigen Damentoilette: „Ach, ich bin so oft hier, einfach so, ich könnte Stunden hier verbringen“ – „Ich auch! Ich liebe diesen Ort, es ist so entspannend hier!“ Wie diesen Damen geht es offenbar einigen Münchnern – es gibt regelrechte Stammgäste. „Wir kennen sie natürlich, sie kommen mehrmals die Woche und bleiben fast den ganzen Tag“, weiß eine Buchhändlerin vom Hugendubel am Marienplatz. Die Leseplätze sind fast zu jeder Tageszeit besetzt. Gelesen werden besonders gern Sachbücher und Reiseführer. Bücher, für die man ungern Geld ausgibt? Manchen, die dort sitzen, sieht man auf jeden Fall an, dass sie gekommen sind, um zu bleiben. Sie haben Jacke und Schal ausgezogen, neben ihnen türmen sich die Bücher.
So hatte sich das Heinrich Hugendubel (1936–2005) vermutlich vorgestellt. Er wollte, dass die Kunden in die Bücher hineinlesen können, ohne sie kaufen zu müssen – was früher noch unüblich war. Da waren Buchhandlungen eher wie Apotheken, man fragte am Tresen nach einem Buch und kaufte es. 1979 eröffnete Hugendubel sein Kaufhaus am Marienplatz mit den roten Leseecken – und wurde damit zu einem Vorbild in der Branche.
Und dennoch hat es kürzlich einen kleinen Zwischenfall gegeben: Eine Dame, die seit vielen Jahren Leseecken-Stammgast in der Filiale am Stachus war, erhielt Hausverbot. Die Münchner Abendzeitung titelte: „Diese Frau hat Buch-Verbot“. Grund: Sie habe dort Fettiges gegessen und die Bücher beschädigt. Ist die Großzügigkeit bei Hugendubel nur gespielt, fragen sich manche Zeitungsleser seither. Ob die 58-Jährige zu Recht vor die Türe gesetzt wurde, sei letztlich eine Glaubensfrage, schließt die Zeitung.
Das Unternehmen selbst sieht das anders: Die Leseecken seien weiterhin zum Verweilen da, erklärt Lothar Mörtlbauer, Hugendubel-Chef am Marienplatz. Dem Haus sei klar, dass manche vor Ort lesen, weil ihnen Bücher zu teuer sind. „Aber wenn sie sorgsam mit den Büchern umgehen, ist das gar kein Problem“, betont der Buchhändler.
So sorgsam wie Anna Nowak beispielsweise. Die 66-jährige Münchnerin kommt seit Jahren sehr häufig her und bleibt auch mal ein paar Stunden. „Ich lese sehr, sehr viel und am liebsten über Psychologie oder Geschichte“, erzählt die rothaarige Dame in dem elegant geschnittenen, ebenfalls roten Kleid. All die Bücher zu kaufen, das sei zu teuer – und außerdem reiche dafür der Platz in der Wohnung nicht aus. Außerdem: „Ich komme hier oft mit anderen ins Gespräch, das ist schön“, erzählt die Rentnerin.
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