Der Mann mit der Maske
Es ist nicht leicht in diesen Tagen, mit Günter Wallraff ins Gespräch zu kommen - der Enthüllungsjournalist ist viel beschäftigt. Jetzt hat er ein neues Buch veröffentlicht; ein Kinofilm startet im Herbst. Von Freddy Schissler
Von Freddy Schissler
Köln/Kaufbeuren - Es ist nicht leicht in diesen Tagen, mit Günter Wallraff ins Gespräch zu kommen. Der Buchautor und Enthüllungsjournalist ist wieder bei der Arbeit. Undercover, unter falschem Namen und mit Maske, eingeschleust in eine Firma. Oder eine Behörde. Oder ein Dienstleistungsunternehmen.
Bei Wallraff weiß man nie, wo genau er gerade recherchiert. "Man muss täuschen und sich verstellen", antwortet er auf die Frage nach dem Grund seines Identitätswechsels, "um die Wahrheit herauszufinden." Das hat er bei McDonald's getan, als Illegaler auf Großbaustellen oder als Leiharbeiter bei Thyssen, wo er jeweils als Türke Ali auftauchte und danach das Buch "Ganz unten" herausbrachte. Das hat er getan als Hans Esser bei der Bild-Zeitung (und "Der Aufmacher" geschrieben) oder zuletzt in einem Callcenter und einer Backfabrik, die Lidl belieferte. Immer verkleidet, immer mit Maske.
67 Jahre wird Wallraff demnächst. Ein passender Zeitpunkt im Leben, um kürzerzutreten? Er schüttelt den Kopf: Im Herbst erscheinen ein Kinofilm zum Thema "Deutsche Befindlichkeiten in Ost und West", den er mit versteckter Kamera drehte, sowie das Buch "Aus der schönen neuen Welt". Und weil der Mann ein äußerst naturverbundener Mensch ist, stellt er das neue Buch vorab im Allgäu vor - am Samstag, 6. Juni, in Kaufbeuren: "Da finde ich rund um die Lesung sicherlich Zeit, zu laufen und zu wandern oder Kajak zu fahren."
Wallraffs Liebe zum Allgäu ist Peter Brosches Glück. Der Vorsitzende des Kaufbeurer Kleinkunstvereins Podium versuchte viele Jahre vergeblich, eine Lesung mit Günter Wallraff auf die Beine zu stellen. Denn der setzt sich nur selten mit einem seiner Werke auf die Bühne. "Wenn ich bei allen Anfragen zusage, komme ich nicht mehr zum recherchieren", erklärt Wallraff.
Im Allgäu also wird er weiter an seiner Fitness arbeiten. Dass er körperlich gut in Schuss ist, belegt er mit seiner aktuellen Marathonzeit: "knapp vier Stunden". Ein befreundeter ehemaliger Zehnkämpfer hält ihn fast täglich auf Trab. "Wenn ich laufe, bekomme ich einen freien Kopf", sagt Wallraff. Weil ihm zudem die Ideen für Themen nicht ausgehen und er mit seinen Mitteln Veränderungen erreiche oder Leuten als Ratgeber zur Seite stehe, denke er nicht an Rente.
Für eine bestimmte Zeit die eigene Identität aufzugeben gehört für Wallraff so selbstverständlich zum Leben wie für andere Leute das Frühstück nach dem Aufstehen. Dann, sagt er, schlüpfe er vollkommen in diese andere Rolle: "Ich rede anders, denke anders, träume anders."
Wie er sich nannte, als er den Kinofilm drehte, darf er nicht verraten, weil noch nicht alle Szenen unter Dach und Fach sind. Dann aber lässt er doch durchblicken, dass er als Westdeutscher im Osten unterwegs war und umgekehrt. Er habe Begegnungen gehabt, die im Hinblick auf den Umgang zwischen Ossis und Wessis "Erschreckendes zutage gebracht haben".
Günter Wallraff hat immer die Konfrontation gesucht, die Auseinandersetzung mit Mächtigen dieses Landes wie den Thyssen-Chefs, McDonald's- und Springer-Managern, Politikern oder Oberbürgermeistern. "Ich bin eigentlich ein freundlicher Mensch", sagt er, "der mit jedem das Gespräch sucht."
Ungerechtigkeiten aber sind ihm ein Dorn im Auge seit jenem Tag, als er sich als Wehrdienstleistender weigerte, zur Waffe zu greifen, stattdessen Blumen in Gewehrläufe steckte und schließlich in der geschlossenen Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses in Koblenz landete. Dort habe man ihm einen Handel vorgeschlagen: Wallraff würde dann entlassen, wenn er sich bereit erkläre, Veröffentlichungen gegen die Bundeswehr zu unterlassen.
"Damals", erinnert er sich, "hielt ich es für illusorisch, in den Buchhändlerberuf zurückzukehren." Er wurde Journalist und Schriftsteller. Einer mit Ecken und Kanten, der wegen Hausfriedensbruchs und anderer Delikte vor Gericht saß und sich auch gegen den Vorwurf wehren musste, seine Bücher teilweise nicht selbst geschrieben zu haben. Nun will er nicht sagen, dass ihn diese Auseinandersetzungen kalt lassen. Aber oft seien sie für ihn die Bestätigung, dass er im richtigen Loch gestochert habe.
So wie in Frankfurt, als er Missstände in einer Obdachlosenunterkunft anprangerte. Die Reaktionen der Stadt: Sie erklärte Wallraffs Recherchen zunächst für Nonsens. Kurze Zeit später lenkte sie ein und denkt nun über Umgestaltungen innerhalb der Container-Siedlung nach. "Spätestens dann weiß ich", sagt Günter Wallraff, "dass ich mich nicht ausruhen darf."
Sein Buch, das im Herbst erscheint, stellt Günter Wallraff am Samstag, 6. Juni (20 Uhr), im Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren vor. Karten: 08341/809634.
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