In Bayern fehlen die Landärzte
Zwar wächst die Zahl neuer Allgemeinmediziner. Doch Experten warnen, dass der Anstieg zu gering ist. Vor allem auf dem Land fehlen Ärzte. Wie die Zukunft dort aussehen könnte.
"Wir sind eine aussterbende Art." Es klingt etwas wehmütig, wenn Harald Aulbach auf mehr als drei Jahrzehnte als Hausarzt zurückblickt. Der 69-Jährige teilt sich im unterfränkischen Kreuzwertheim eine Praxis mit seiner 65-jährigen Ehefrau. Seit vier Jahren suchen sie Nachfolger, die ihre Patienten weiter betreuen. Bislang ohne Erfolg. Probleme, Patienten für sich zu gewinnen, habe die Praxis nicht, betont Ursula Aulbach. "Nur die jungen Mediziner wollen keine Hausärzte werden, das ist das Problem", sagt sie.
Nach Ansicht des Vorstandschefs der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), Wolfgang Krombholz, sind die Aulbachs ein typisches Beispiel für die Situation in vielen Teilen des Freistaats. Krombholz spricht von einer "besorgniserregenden Altersentwicklung". Mehr als ein Drittel der Hausärzte in Bayern ist älter als 60 Jahre und wird dementsprechend in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Zwar steigt die Zahl der Ärzte insgesamt von Jahr zu Jahr. Im Freistaat arbeitet heute rund ein Fünftel mehr Mediziner als noch vor zehn Jahren. Doch von den 414 Hausärzten, die sich im vergangenen Jahr in Bayern aus dem Berufsleben zurückgezogen haben, haben nach Zahlen der KVB 87 zunächst keinen Nachfolger gefunden.
Der Präsident der bayerischen Landesärztekammer, Max Kaplan, sieht zwar erste Zeichen für eine Trendwende. Entwarnung will er aber längst nicht geben. Der Anteil der Nachwuchsmediziner, die ihre Facharztprüfung im Fach Allgemeinmedizin ablegen, ist in Bayern zuletzt auf rund zwölf Prozent gestiegen, nachdem sie viele Jahre um zehn Prozent geschwankt hatte. "Um den Bedarf zu decken, bräuchten wir jedoch 20 Prozent", warnt Bayerns Ärztepräsident.
Reform des Medizinstudiums soll das Problem lösen
Auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) befürchtet, dass die Engpässe bei der Hausarztmedizin weiter wachsen. Sie setzt auf eine Reform des Medizinstudiums, die unter dem "Masterplan 2020" läuft. Die Reform sieht unter anderem vor, dass Nachwuchsmediziner während des Studiums mehr Erfahrung in Hausarztpraxen sammeln. Huml hofft, dass auf diese Weise mehr Berufsanfänger "neugierig werden und sagen: das ist genau mein Ding, das möchte ich machen".
Mit einer sogenannten Landarztquote will Huml außerdem dafür sorgen, dass fünf Prozent der Studienplätze bevorzugt an Abiturienten vergeben werden, die sich für eine bestimmte Zeit zur Arbeit in unterversorgten Bereichen verpflichten. Allerdings gibt es bei etlichen Medizinerverbänden, wie etwa der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB), Widerstand gegen die Landarztquote. Der MB in Bayern kritisiert beispielsweise, man könne von Abiturienten nicht ernsthaft erwarten, dass sie sich vor Studienbeginn für ihre Weiterbildung danach entscheiden. Auch in den Bildungsministerien der Länder gibt es Vorbehalte. Ein hochrangiger Mitarbeiter des bayerischen Gesundheitsministeriums beklagt: "Die Kollegen aus dem Bildungsressort ziehen nicht mit."
Thomas Kühlein, der an der Universität Erlangen-Nürnberg den Lehrstuhl für Allgemeinmedizin leitet, hält eine Aufwertung der Arbeit der Hausärzte für dringend nötig: "Wir haben immer mehr ältere Patienten, die jemanden brauchen, der den Überblick behält." Die Änderungen beim Medizinstudium könnten helfen, gegenzusteuern, hofft er. Doch er mahnt, geduldig zu sein: "Die Ernte werden wir erst in einigen Jahren einfahren können."
Ersetzen Ärztezentren die Landarztpraxen?
Kühlein hält dabei einen grundlegenden Wandel in der Patientenversorgung für unausweichlich. Seiner Ansicht nach gehört die Zukunft Ärztezentren, in denen mehrere Mediziner zusammenarbeiten, mit Unterstützung von gut ausgebildetem medizinischem Fachpersonal. Die Versorgung auf dem Land werde immer öfter von "Satellitenpraxen" übernommen, erwartet er. Dort würden an einigen Tagen in der Woche Sprechstunden angeboten, für die Ärzte aus dem nächstgelegenen größeren Zentrum anfahren.
Dabei sieht Kühlein eine Gefahr: Kapitalgesellschaften könnten in die Lücke vorstoßen, die das Praxensterben hinterlässt. So hat die Rhön Klinikum AG mit Sitz in Bad Neustadt an der Saale Anfang April bei der Veröffentlichung ihrer Bilanzzahlen erklärt, ländlich geprägte Regionen würden sich "künftig eine leistungsfähige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung nicht mehr leisten können". Und der börsennotierte Konzern fügte hinzu: "Das ist unsere Wachstumschance."
Der Allgemeinmedizin-Professor Kühlein, der früher selbst bei den Rhön-Kliniken gearbeitet hat, hält es für riskant, Dividendenerträge für Aktionäre zum obersten Ziel in der Gesundheitsversorgung zu erklären: "Das ist in der Medizin wahnsinnig gefährlich." dpa/AZ
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