Provisorium bricht Koloss das Kreuz
Warum hat die nagelneue Autobahnbrücke über den Lech, die gerade gebaut wird, dem Hochwasser nicht standgehalten? Das war die große Streitfrage bei Beobachtern und Experten, die sich gestern den ganzen Tag über mit dem abgesackten Nachfolgebauwerk beschäftigten. Bürgermeister Klaus Kirchner zeigte sich sehr verwundert, dass es am provisorischen Fundament der Brücke keine schützende Stahlspundwand gegeben habe. "Wenn eine Baustelle über so lange Zeit betrieben wird, muss sie hochwassersicher gebaut sein", forderte er. Innenminister Beckstein sprach von einer "saudummen Situation".
Von Simon Kaminski und Christoph Frey
Der Freistaat betreibt die Baustelle im Auftrag des Bundes. Dass die Brücke ausgerechnet imBauzustand mit einer provisorischen Fundamentierung von einem mehr als 100-jährigen Hochwasser getroffen werde, sei eine saudumme Situation, sagte Beckstein. Damit hätten die Planer wohl nicht gerechnet. Hat sich der Bauherr die schützende Stahlspundwand für das Provisorium vielleicht aus Kostengründen gespart, wie Augsburger Politiker vermuten? Dies seien technische Fragen, die von den Baufachleuten entschieden werden müssen, sagte der Innenminister. Möglicherweise hätte ein solides Fundament für den provisorischen Standort sehr viel Geld gekostet und im Nachhinein zu Kritik geführt, meinte Beckstein in einer ersten Stellungnahme am Abend vor Ort.
Anders urteilte OB Paul Wengert. Es sei bekannt und damit berechenbar, dass der Lech alle Jahre wieder Hochwasser führt. Und in der Tat: Dass der Lech dem neuen Autobahnübergang gefährlich werden kann, war den Planern bekannt. Genau deswegen sollen beide Brückenbauwerke, jedes im Endzustand gut 6000 Tonnen schwer, keine Pfeiler bekommen, die sie auf ihrem über 100 Meter langen Weg über den Fluss stützen. Doch das Wasser hat eine andere Schwachstelle gefunden und ein provisorisches Widerlager unterspült. Deswegen drohte der stählerne Koloss wegzusacken.
Erst am Nachmittag waren sich die Fachleute sicher, dass das Bauwerk vom Hochwasser nicht weggespült würde. Wie das geschehen konnte, "ist mir selbst ein Rätsel", sagte gestern Paul Lichtenwald. Er ist der Präsident der Autobahndirektion Südbayern, die für das elf Millionen teure Brückenbauvorhaben zuständig ist. Ein Totalschaden ist die Brücke laut Lichtenwald nicht. Solange nur das Widerlager, eine Art Fundament, unterspült ist, könne das repariert werden. Lichtenwald gibt sich zuversichtlich: "Das wird alles gehen."
Wie lange das dauern wird, darüber wollte der Präsident gestern nicht spekulieren. Auch zur Ursache des Unglücks könne er noch keine Angaben machen. "Wir haben im Moment Dringenderes zu tun." Sicherlich werde man aber in den kommenden Tagen untersuchen müssen, was die Ursache war. Schließlich könne der Schaden in die Millionen gehen. Dass ein Widerlager nachgibt, das die Brücke immerhin eineinhalb Jahre lang tragen sollte, "das darf nicht sein", sagte Lichtenwald gestern gegenüber unserer Zeitung.
Am Vormittag noch war das Bauwerk mit kreischenden Geräuschen ruckweise abgerutscht, bevor es sich gegen Mittag wieder stabilisierte. Und zwar derart, dass zunächst die Arbeiten an einem Notkanal quer über die Autobahn, östlich der Brücke, gestoppt wurden. Eine ganze Armada von Lastwagen hatte bereits Steinbrocken herangeschafft, Bagger hoben Erdreich aus - die Leitplanken waren bereits weggerissen oder abgeflext. Als es jedoch darum ging, die Fahrbahn der A 8 für den provisorischen Kanal aufzubrechen, kam das Stoppzeichen.
Diskutiert und vor allem spekuliert wurde über die Ursache natürlich bei Experten vom Bau ebenso wie bei den Einsatzkräften vor Ort. "Wie konnte das passieren?" - eine Frage, die immer wieder gestellt wurde. Die am häufigsten genannte Erklärung für das Desaster war, dass die Unterspülungen des Fundaments durch den reißenden Lech in Verbindung mit dem durch Dauerregen aufgeweichten Boden zum Absacken führten. Später wurde zunächst nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert, dass die Fundamente nicht ausreichend durch Spundwände gesichert worden seien. Durch diesen Schutz der Widerlager - die neuralgischen Punkte einer jeden Brücke - hätte, so die Vermutung, verhindert werden können, dass die Widerlager den Fluten ausgesetzt wurden.
Unstrittig war schon gestern, dass die Ursachen für das Nachgeben des viele Millionen Euro teuren Bauwerks von unabhängigen Gutachtern geklärt werden müssen. In den Sternen steht nun, wann der Verkehr in Zukunft über die neue Brücke über den Lech fließen kann.
"Um mindestens ein halbes Jahr", so die spontane Schätzung von OB Wengert, könnten sich die Bauarbeiten verlängern. Schließlich müssen zunächst die Fundamente völlig neu hergestellt werden.
Die Diskussion ist geschlossen.