Gernot Römer hat der Zeitung Gesicht und Profil gegeben
Unbestechlich in seinem Urteil und jedem Versuch der Einflussnahme trotzend: Gernot Römer war eine journalistische Autorität. Jetzt ist unser langjähriger Chefredakteur im Alter von 93 Jahren gestorben.
Die letzte Mail von ihm ist schon ein paar Jahre alt. „Römer-Brief“ hatte er hintersinnig in die Betreffzeile geschrieben, ein kleines Wortspiel in Anlehnung an den Brief des Apostels Paulus an die Römer. Es ging um die politische Situation in Israel, das im deutschen Journalismus einen so schweren Stand hat, und um die Deutsch-Israelische Gesellschaft, die ihm so viel zu verdanken hat. „Es freut mich“, schrieb Gernot Römer also seinem einstigen Redakteur in der ihm eigenen Kürze, „dass Sie ein Israel-Fan sind wie ich, auch wenn ich Netanjahus Politik nicht schätze. Aber ich habe dort viele Freunde, die einmal in Schwaben zu Hause waren.“
Nach Schwaben war der in Wuppertal geborene Römer nach Stationen in Darmstadt, Nürnberg, Düsseldorf und Essen 1971 gekommen – als Chef vom Dienst unserer Zeitung. Drei Jahre später wurde er Chefredakteur, zunächst noch an der Seite von Günther Holland, und blieb es 20 Jahre lang: Ein Journalist vom alten Schlag, wie man heute sagen würde, unbestechlich in seinem Urteil, jedem Versuch der Einflussnahme trotzend und mit einem Gespür für Themen, das seinesgleichen suchte. Unter ihm wurde das Augsburger Modell, die Ausbildung von Journalisten in einem vielseitigen, prägenden Volontariat, zu einem bundesweit beachteten Vorbild. Er verschaffte der Zeitung mit ihren Kommentaren und Leitartikeln Gehör und bot mit seiner liberalen Grundhaltung auch der regierenden CSU selbstbewusster Paroli, als die es damals gewohnt war.
Er war kein bequemer Chef, aber ein jederzeit fairer
Römer war kein einfacher, kein bequemer Chef, dafür aber ein umso fairerer, der sich auch schützend vor seine Redaktion stellte, wenn Politiker oder Verbandsfunktionäre sich von ihr auf den Schlips getreten fühlten, was durchaus häufiger vorkam. Kein Kumpeltyp, sondern ein Chefredakteur von natürlicher Autorität. Er hat unserer Zeitung Gesicht und Profil gegeben, der Sorgfalt der Recherche Vorrang vor der schnellen Schlagzeile und anderen Meinungen ihren Raum.
Einem Redakteur, der in den 90er Jahren schon dafür plädierte, den Preis für einen Liter Benzin aus ökologischen Gründen auf fünf Mark anzuheben, entgegnete er trocken: „Seien Sie froh, dass Sie in so jungen Jahren an so exponierter Stelle schreiben dürfen.“ Aber der Kommentar fand seinen Weg ins Blatt, obwohl er selbst ganz anderer Ansicht war. Innere Pressefreiheit nennt man das heute. Für Gernot Römer aber war es schlicht und einfach eine journalistische Selbstverständlichkeit. Gelebter Pluralismus.
Sein Lebensthema: Das Schicksal der schwäbischen Juden
Ein früherer Minister nannte ihn einmal einen Moralisten – und meinte damit keinen moralisierenden Eiferer, sondern einen Mann, der allen Versuchungen, ins Boulevardeske oder gar Unseriöse abzugleiten, trotze, dem Ehrlichkeit wichtig war, Glaubwürdigkeit und Fairness im Umgang mit den Menschen, über die wir schreiben. In seiner Freizeit arbeitete er, ein Kind des Krieges, mit großer Empathie und akribischer Recherche die Geschichte der Juden in Schwaben auf und begab sich für seine Bücher auf die Spuren ermordeter, vertriebener und geflohener Juden. Häufig wurde er dabei in Israel fündig und hielt so auch im Kleinen die Erinnerung an Deutschlands furchtbarste Jahre wach.
Am 12. Juni ist Gernot Römer, wie wir erst jetzt erfahren haben, im Alter von 93 Jahren gestorben. Viele in unserer jungen Redaktion haben ihn nie kennengelernt. Der Geist und der journalistische Anspruch aber, den er dieser Redaktion vermittelt hat, leben über seinen Tod hinaus weiter.
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R.I.P. Gernot Römer und Beileid der Familie!
Gernot Römer war noch ein unabhängiger Journalist vom alten Schlage. Mit seinem Nachfolger Rainer Bonhorst, der heute als Autor der sog. "Achse des Guten" wirkt, veränderte sich unsere Augsburger Zeitung leider zu ihrem Nachteil und wurde immer parteipolitischer. Bonhorsts prägender Einfluss auf das schreibende Personal ist leider bis heute omnipräsent. Da konnte auch ein Gregor Peter Schmitz nur unter Mühen dagegenhalten. Mal sehen, in welcher Richtung es weitergeht.