Das sind die coolen neuen Reiseziele in deutschen Städten
Es gibt nicht nur den berühmten Banksy. In immer mehr Städten verwandeln sich triste Hausfassaden durch XXL-Wandbilder von renommierten Künstlern in neue Touristenattraktionen. Warum die Kunst am Bau boomt.
Eine 20 Meter hohe Blume, die aus einer kargen Felsenlandschaft herauswächst – dieses Bild hat der Berliner Künstler Mocx Dabbert im vergangenen Jahr auf einer großen Hauswand in Hannover im Szenestadtteil Linden geschaffen. Aus einer grauen Giebelseite wurde ein hellblauer Himmel, in den die Fantasiepflanze mit ihrer orangenen Blüte ragt. Die Natur lässt sich nicht unterkriegen – so könnte man die Botschaft deuten. Insgesamt sechs vormals triste Hausfassaden haben Kunstschaffende in Hannover beim Street-Art Festival Hola Utopia 2020 in sogenannte Murals verwandelt, in großformatige Wandbilder (zu finden unter www.hola-utopia.com). Vor der Umgestaltung gab es Workshops für alle Interessierten, bei denen Ideen für Themen gesammelt wurden wie zum Beispiel Kinderrechte, Umweltzerstörung und Diversität.
„Die Künstler haben eine dieser Ideen aufgenommen, bei der Umsetzung waren sie frei in ihrer Entscheidung“, sagt Jascha Müller, einer der Festivalorganisatoren. Auf der Giebelfront an einem Spielplatz hat ein Künstlertrio mit Spraydose, Pinsel und Malerrolle einen Jungen verewigt, der in der einen Hand eine Rohrzange und in der anderen einen Vogelkäfig hält. Mit der Zange hat er die Gitter so verbogen, dass die Vögel ausfliegen konnten – das Wandbild ist ein Lob der Freiheit. Auf dem XXL-Wandbild der Künstlerin Etaja feiern verschiedene Tierarten die Hochzeit eines Vogels mit einem Reptil. „Ich will die Vielfalt der Welt zeigen, an der jeder teilhaben können soll“, sagt Etaja, die sich über das große Interesse von Passanten an ihrer Arbeit während der Entstehung des Kunstwerks freut.
In Mannheim gibt es fast 30 Murals zu entdecken
In Zeiten, in denen wegen Corona kulturelle Sehenswürdigkeiten weitgehend geschlossen waren, gewinnen die Großgraffiti als Attraktion an Bedeutung – das bestätigt Sören Gerhold, Geschäftsführer des Kulturzentrums Alte Feuerwache aus Mannheim. Seit 2013 gestalten dort jedes Jahr unter dem Motto „Stadt-Wand-Kunst“ international bekannte Street-Art-Künstler leere Wände nach ihren Vorstellungen. Seitdem sind fast 30 Murals entstanden, zu denen die Mannheimer Tourist-Information Führungen organisiert. „Das sind die am besten besuchten Stadtführungen, an denen sowohl viele Einheimische als auch Besucher aus ganz Deutschland teilnehmen“, betont Gerhold, einer der Organisatoren des Open Urban Art Museum Mannheim.
Während des Lockdowns wurden keine Führungen angeboten, aber Alternativen geschaffen, die auch jetzt noch interessant sind: Mit einer Karte von der Homepage www.stadt-wand-kunst.de sowie QR-Codes vor Ort kann man jedes einzelne Bild auch auf eigene Faust erkunden und vieles über die Entstehung, die Farben, die Motive und die Künstler erfahren. „Diese Möglichkeit nutzen aktuell sehr viele Menschen, die sich über kulturelle Abwechslung freuen“, sagt Gerhold. Einige Kunstwerke sind mittlerweile verschwunden, weil Gebäude abgerissen wurden. Einen Bestandsschutz gibt es nicht. „Wir werden in diesem Jahr einen Katalog mit Abbildungen veröffentlichen“, kündigt Gerhold an.
In Halle ermöglichen die Kunstwerke neue Sichtachsen
Die Hallesche Wohnungsgesellschaft, mit rund 18.000 Wohnungen der größte Vermieter in Halle/Saale, wurde vor zwei Jahren durch die künstlerische Gestaltung von mehreren elfstöckigen HWG-Gebäuden mit einer Fläche von mehr als 8000 Quadratmetern international bekannt. Auf der Fassade in der Voßstraße finden sich Motive aus Natur und Wissenschaft, ein Bezug zur nahe gelegenen Franckeschen Stiftung. Illusionsmalerei erweckt den Eindruck, als ob man durch die Gebäude durchblicken kann. Ein helles Blau an den oberen Stockwerken schafft zwischen den riesigen Plattenbauten und dem Himmel eine Verbindung. „Eine Umfrage zeigte, dass sich die Bewohner von den Blöcken erschlagen fühlten. Wir betonen die Sichtachsen, lenken den Blick auf bestimmte Punkte und tragen so zu einer besseren Orientierung bei“, sagt Danilo Halle von der halleschen Freiraumgalerie, die sogar einige Mieter auf der Fassade verewigt hat.
Die Künstler der Freiraumgalerie haben bereits nach der Wende im Stadtviertel Freiimfelde an einst leer stehenden Gebäuden imposante Fassadenkunst geschaffen, junge Leute aus Nah und Fern hierher gelockt und letztlich zum Erhalt der Häuser beigetragen (eine Karte mit den Standorten findet sich unter www.freiraumgalerie.com).
Nicht selten lassen Vermieter Gebäude künstlerisch gestalten, um illegale Graffitisprayer abzuschrecken. Dabei gilt: Je größer das Fassadenbild, umso eher wird es von Sprayern akzeptiert. „Ein Graffitischutz ist bei unseren Malereien nicht mehr nötig. Wir verzichten auch darauf, weil der Schutz zu einem Glanzeffekt führt, den wir nicht wollen“, sagt Andreas Wunderlich. Er ist Geschäftsführer in dem Berliner Familienunternehmen Creative Stadt, das Konzepte für die Verschönerung von Fassaden durch Wandbilder erstellt und Künstler mit der Umsetzung beauftragt. Einer der ersten Aufträge war die Wandgestaltung an einem Plattenbau in Berlin-Hellersdorf, die graue Fassade wurde durch Bemalung in ein Gründerzeitambiente verwandelt. „In den 90er Jahren hatten Wohnungsgesellschaften mit Leerstand und hoher Fluktuation zu kämpfen, Hellersdorf hatte durch soziale Probleme ein schlechtes Image. Nach der Umgestaltung waren die Gebäude plötzlich Fotomotiv für Touristen und die Bewohner haben sich mehr um ihr Umfeld gekümmert“, sagt Wunderlich.
In Waren lassen die Künstler alte Geschäfte wieder aufleben
Für Creative Stadt arbeiten Spezialisten, die sonst Film- oder Theaterkulissen gestalten oder Gemälde schaffen. Sie malen nach Entwürfen, die Wunderlich mit den Auftraggebern oder den Bewohnern entwickelt. In Waren in Mecklenburg verwandelten die Künstler triste Wohngebäude aus den 60er Jahren in der Innenstadt in vermeintliche Läden – die Fassade im Erdgeschoss scheint aus einem großen Schaufenster mit Anglerzubehör zu bestehen, in großen Buchstaben steht „Seglerladen“ darüber. Tatsächlich handelt es sich dabei um Illusionsmalerei, sodass das Wohnhaus inmitten von historischen Geschäftsgebäuden nicht mehr negativ auffällt. „Wir entscheiden uns für Motive, die möglichst einen konkreten Bezug zur jeweiligen Umgebung haben. Der Seglerladen knüpft an die Lage von Waren an der Müritz an. Wir wählen dabei immer gegenständliche Objekte aus, denn mit abstrakter Malerei können die meisten Menschen nicht viel anfangen“, meint Wunderlich.
Solche Aktionen werden vielfach mit öffentlichen Mitteln finanziert, um die eigene Stadt für Besucher interessanter zu machen. In Bad Freienwalde erinnert eine von Creative Stadt konzipierte Hauswand an den 1922 ermordeten Außenminister Walther Rathenau, der in der brandenburgischen Kleinstadt lebte. Im ersten Stock eines Gebäudes steht Rathenau am Fenster und blickt in die Ferne, unter ihm geht eine Kundin in einen Kolonialwarenladen –von Weitem weitem wirkt die Szenerie an dem dreistöckigen Gebäude echt, je näher man kommt, umso deutlicher wird, dass es sich um eine von Künstlern gestaltete Illusion handelt, die ein Stück Stadtgeschichte erzählt.
Lesen Sie dazu auch:
- Bildergalerie: So werden triste Hausfassaden durch Streetart cool
- Sprayer gestalten mit Graffiti das größte Wandbild in Schwaben
- Neues Graffiti: Banksy verziert steilste Straße Englands mit niesender Frau
- Streetart-Künstler treiben es bunt in Frankreich
Die Diskussion ist geschlossen.