
Der SV Waldkirch und die Feinarbeit vor dem großen Finale

Plus Der SV Waldkirch startet in die Endrunde um die deutsche Luftpistole-Meisterschaft. Doch wie gehen die Sportler mit der Favoritenrolle um?

Das positive Gefühl tragen sie nun schon ein ganzes Jahr in sich. Unmittelbar nach der 0:5-Schmach im Kampf um Bronze bei den nationalen Titelkämpfen in Paderborn genügte die bloße Erwähnung des Zauberorts Rotenburg an der Fulda als Schauplatz des Meisterschaftsfinales 2020, um den Schmerz der Schützen aus dem Holzwinkel zu dämpfen und neue Motivation zu entfachen. Jetzt also sind die Pistoleros des SV Waldkirch zurück an der Stätte ihres größten Triumphs. 2016, zum Abschluss ihrer allerersten Saison als Luftpistole-Bundesligisten, hatten die Schützen aus Schwaben genau hier, in dieser idyllisch anmutenden, mit vielen Fachwerkhäusern gezierten Kleinstadt im Nordosten Hessens den Titel geholt. Doch völlig anders als damals, als ihr Sieg eine faustdicke Überraschung darstellte, sind die Waldkircher diesmal gekommen, um zu siegen.
Hexenkessel-Atmosphäre in der Halle
Nun ist das leicht gesagt in dieser Hochpräzisions-Sportart, in der wenige Millimeter über die Getränkewahl für die komplette folgende Nacht entscheiden. Es sind, angefangen von der Qualität der Unterkunft über die berühmt-berüchtigte Tagesform bis hin zu den Lichtverhältnissen am Stand unzählige Faktoren denkbar, die den Ausgang solcher Veranstaltungen beeinflussen. Einer davon ist das Publikum. Würde die Lautstärke der einzelnen Fangruppen allein über die Platzierungen entscheiden, hätten die Waldkircher eine Medaille sicher. Der Reisebus, der an diesem Freitag in aller Herrgottsfrüh in Schwaben startete, war schon mal pickepackevoll – beeindruckend für einen 300-Seelen-Ort. Edelfans, wie der Winterbacher Bürgermeister Karl Oberschmid und der Burgauer Gauschützenmeister Wolfgang Majewski, wollen mit dem Auto hinterher reisen.
Sie alle bürgen für einen gut sicht- und vernehmbaren Teil des Gesamt-Spektakels in der mehr als 2500 Zuschauer fassenden Göbel Hotels Arena – wobei der Laie immer wieder stutzt und über den Umstand staunt, dass es den Schützen offensichtlich gar nicht ohrenbetäubend genug zugehen kann. Einen Ordnungsruf der Kategorie „Ruhe bitte“ gibt’s bei Wettkämpfen der Schützen nicht – es würde ihn ohnehin keiner hören. In der auf alle Eventualitäten ausgerichteten Vorbereitung der Waldkircher führte das zum skurril anmutenden Erlebnis, dass die Anwesenden während des Abschlusstrainings durch lautes Klatschen, Pfeifen und abruptes Wechseln der Musikbeschallung die Hexenkessel-Atmosphäre in der Halle imitierten.
Ein weiteres Kriterium auf dem Weg zum Titelgewinn ist auf jeden Fall, das mit dem Gruppensieg in der Bundesliga Süd gewaltig gewachsene Selbstbewusstsein genau im richtigen Moment in die bestmögliche Leistung umzusetzen und sich nicht etwa den Verlockungen des Übermuts hinzugeben.
Der Ort allein macht keinen Meister
Spätestens an dieser Weggabelung beginnt die Arbeit von Trainerin Elfriede Weigelt eine ganz zentrale Rolle einzunehmen. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, den Pistoleros im unmittelbaren Vorfeld der Titelkämpfe einzubläuen, dass der Ort des Geschehens allein noch nie einen Meister gemacht hat. „Aber wir können uns mehr mit dem Gegner beschäftigen als mit der Halle“, sagt sie mit Mut machendem Unterton.
Ein Riesen-Vorteil ist das vor allem für das Viertelfinale. Der Modus der Entscheidung bringt es ja mit sich, dass vier der acht teilnehmenden Teams nach ihrem ersten Wettkampf gleich wieder die Koffer packen müssen. Dieses Wissen wiegt schwer und hat in der Vergangenheit der seit 1997 in dieser Form stattfindenden Titelkämpfe schon manchen haushohen Favoriten stolpern lassen.
Dennoch: Waldkirch ist nun mal Meister des Südens, trifft im Viertelfinale auf den Vierten des Nordens. Und bei aller Wertschätzung für die Sportschützen aus Raesfeld: Das sollte doch zu machen sein. Oder, Frau Weigelt? „Ich glaube schon, dass wir das überstehen“, sagt sie mit dem ihr eigenen schelmischen Blick, der ihre unglaubliche Fachkompetenz wie selbstverständlich wirken lässt. Und sie ist natürlich psychologisch geschickt genug, um gleich den Satz „Aber ein Finale hat immer eine eigene Dynamik“ nachzulegen.
Die Männer unter den Experten formulieren das deutlicher. Jan-Erik Aeply, jahrelang Disziplin-Verantwortlicher Pistole im Deutschen Schützen-Bund (DSB) und heute Sportdirektor des Bayerischen Sportschützen-Bundes (BSSB), sagt: „Im ersten Wettkampf ist jeder verwundbar.“ Und Weigelts Ehemann Peter, Manager des Teams aus dem Holzwinkel, bemerkt auf gut Fränkisch: „Im Viertelfinale geht jedem der Arsch auf Grundeis.“
Im Halbfinale wartet ein Vorjahres-Finalist
Sofern diese Hürde am Samstagvormittag überwunden wird, falls also der Einzug ins Halbfinale gelingt, wartet dort auf jeden Fall eine ganz große Nummer auf die Waldkircher. Gegner wird am späten Nachmittag der Sieger des Viertelfinal-Duells zwischen Braunschweig und Ludwigsburg sein. Pikant: Vor einem Jahr standen sich diese beiden Mannschaften im Finale gegenüber – allein das zeigt, wie nah Sieg und Niederlage beziehungsweise die einzelnen Platzierungen im Luftpistole-Schießen zusammen liegen.
Doch auch hier, sowie im einen Tag später folgenden Kampf um die Medaillen, können die Holzwinkler stolz ihren vielleicht größten Schatz präsentieren. Sie sind jeder für sich und zusammen als Team gegenüber dem Vorjahr besser geworden. Sie wissen das. Und, genauso wichtig: die Konkurrenten wissen es auch.
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