
Klangsinn überstrahlt die Technik

Illertissen Aus der ganzen Region, ja weit darüber hinaus strömten die Musikfreunde am Sonntagabend ins Illertisser Kolleg, um die berühmte Geigerin Julia Fischer zu hören, die ansonsten in den Konzertsälen der Welt zu Hause ist.
Mit Fug und Recht kann gesagt werden, dass eine Sternstunde bevorstand. Die junge Instrumentalistin stellte drei Alterswerke großer Musiker vor: Eugène Ysaÿes erste Solosonate, die der damals 66-jährige Virtuose bachschen Vorlagen in ähnlicher Form, aber mit vertrackten technischen Problemen gespickt, nachempfunden hatte. César Francks berühmte Violinsonate A-Dur entstand 1886, vier Jahre vor seinem Tod, und Beethoven schrieb seine zehnte Violinsonate als letzte nach der ein Jahrzehnt zuvor entstandenen neunten. Werke höchster Reife standen auf dem Programm.
Moment größter Spannung
Nach dem Betreten der Bühne und kurzer Gewöhnung an das Scheinwerferlicht ging plötzlich ein Ruck durch die Künstlerin. Ein Moment größter Spannung, und aus ihm entluden sich wie entfesselt Eugène Ysaÿes hochromantische Klangfluten, die praktisch alles einbezogen, was Virtuosen bis zum späten 19. Jahrhundert an Höchstschwierigkeiten erdacht hatten. Aber nichts ähnelte der Hexenkunst Paganinis, die technischen Anforderungen der Terzen- und Sextenparallelen, der Akkordik - am Ende der Fuge bis zu sechs Stimmen(!) - der Skalen und des Ponticello waren nach Bachs Vorbild überschaubarer Ordnung verpflichtet. Und mit natürlichen Bewegungen gelang es Julia Fischer, das Virtuoseste mit scheinbarer Leichtigkeit zu meistern und in den Dienst klanglichen Ausdrucks zu stellen. Der wurde wie aus dem Instrument herausgesaugt, die enorme Spannweite des tonlichen Bereichs oft durch einen einzigen Bogenstrich dokumentiert, die Klangfarben durch differenziertes Vibrato variiert. Die Zuhörer waren sich bewusst, eine Glanzleistung miterlebt zu haben.
Wechselnde Stimmungen
Bei César Franck gesellte sich mit der gleichfalls bedeutenden Pianistin Milana Chernyavska eine Partnerin hinzu, die für ein spannungsvolles Duettieren sorgte. Wie auf ausgelegtem Teppich bereitete sie die oft abrupt wechselnden Stimmungen vor, atmete die Bewegungen auch sichtbar mit und sorgte immer wieder für die klangliche Balance.
So erlebte das von der zyklischen Form geprägte Werk eine Wiedergabe, die von steigender Intensität geprägt war. Heterogene Elemente bündelten sich durch wunderbare, vom Melodischen bestimmte Modulationen zu einem Kosmos der Klänge. Der forsch begonnene Kanon kulminierte in einem wahren Feuerwerk.
Klanglicher Reiz
Nach der Pause folgte Beethovens op. 96. Da ist nichts mehr zu spüren vom früheren "Durch Nacht zum Licht", Beethovens Spätstil, so wie er etwa auch in der achten Sinfonie und in den letzten Klaviersonaten zum Ausdruck kommt, wird von feinsinniger Thematik und ihrer Ausarbeitung bestimmt. Nicht zu vergessen ist, dass diese Sonaten "für Klavier und Violine" heißen. Die beiden Interpretinnen kosteten den klanglichen Reiz, vor allem des herrlichen Adagio espressivo, voll aus, reduzierten das Klangvolumen zugunsten des geistigen Tiefgangs und sorgten für ein spannungsvolles Ende des humorvoll gedachten Rondos. Besondere Erwähnung verdient, dass die Geigerin das gesamte Programm auswendig servierte.
Als Zugaben folgten die elegant dargebotene "Melodie" von Tschaikowsky und als Rarität ein herrlicher Satz aus einem Violinkonzert von Ysaÿe, das die Verbrennung seiner Werke überstanden hatte.
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