Akuter Lehrermangel: "Waren kurz davor, System gegen Wand fahren zu lassen"
Die Grund- und Mittelschulen im Landkreis Günzburg können den Unterricht ohne externe Lehrkräfte nicht stemmen. Die Probleme nehmen zu, aber es gibt Lösungsideen.
Ein halbe Stunde hat Schulamtsdirektor Thomas Schulze über den Lehrermangel an Grund- und Mittelschulen im Landkreis gesprochen, bis er einen Satz sagt, der für diesen ruhigen, sachlichen Mann ungewöhnlich direkt ist. "Wir waren kurz davor, das System gegen die Wand fahren zu lassen, damit in München spürbar wird, wie groß der Lehrermangel und wie groß die Belastung an den Schulen ist." Eine gute halbe Stunde vor dieser Aussage hat er die letzte Lücke geschlossen, alle offenen Stunden für das kommende Schuljahr mit befristeten Verträgen besetzt. 738 Wochenstunden waren das in den 36 Grund- und Mittelschulen im Landkreis Günzburg.
Schulze und seine Kolleginnen und Kollegen haben dafür insgesamt 47 externe Lehrkräfte engagiert, aktuell Lehramtsstudierende, aber auch Pädagogen, pensionierte Lehrer und Menschen aus anderen Berufsfeldern springen ein. Jeder, der unterrichtet, hat einen Lehramts- oder einen universitären Hintergrund. "Dass es weitergeht, sind wir den Schülerinnen und Schülern und auch den Lehrkräften schuldig." Strukturelle Probleme aber bleiben.
Lehrermangel im Kreis Günzburg hat sich über längere Zeit aufgebaut
"Es ist eine Mangelversorgung, es geht nur darum die Lücken zu füllen. Für die Lehrkräfte an den Schulen bedeutet das noch mehr Belastung", sagt Schulze. Der Lehrermangel habe sich über einige Zeit aufgebaut. Im vergangenen Schuljahr musste das Schulamt ungefähr 400 Stunden mit befristeten Verträgen bilden, Lehrer, die in Pension gehen, und schwangere Lehrerinnen vergrößern die Lücke. "Lehrkräfte, die wir nachqualifiziert haben für das Grund- oder Mittelschullehramt, werden vom Kultusministerium wieder abgezogen, weil sie andere Angebote von Gymnasium oder anderen Schulformen bekommen."
Der Lehrermangel würde jedes Jahr von Schuljahresbeginn an dramatisch wachsen, sagt Schulze. Mittlerweile hat er über 80 Prozent der Förderstunden an Grundschulen mit externen Lehrkräften besetzt. "Wenn wir diese befristeten Verträge nicht hätten, könnten wir keine Vorkurse, Deutschförderungen oder Unterricht für Geflüchtete geben." Auch der gebundene Ganztag, der verpflichtend ist, könne nicht stattfinden.
Fünfmal weniger Mittelschullehramtsstudierende an der Uni Augsburg
Die Attraktivität des Berufes ist enorm gesunken. An den Grundschulen ist laut Schulze in einigen Jahren zwar Besserung in Sicht, weil der Numerus Clausus für Grundschullehramt abgeschafft wurde, dafür ist der Rückgang an potenziellen Lehrkräften an Mittelschulen drastisch: "2014 haben in Augsburg noch 273 Studierende mit Mittelschullehramt begonnen, im vergangenen Herbst waren es 40." Grundschullehrkräfte müssten künftig auch an Mittelschulen eingesetzt werden, sagt Schulze.
Kurzfristig rechnet Schulze im Herbst damit, dass Stunden gekürzt werden müssen, weil Lehrkräfte krankheits- und coronabedingt ausfallen, wie schon in zwei Corona-Wintern zuvor. "Wir laufen Gefahr, wieder auf ein Rumpfunterricht zu gehen."
Dass Lehramtsstudierende einspringen, würde Lehrkräfte nicht immer entlasten, sagt Roland Grimm, Vorsitzender des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) für den Landkreis Günzburg. "Die Studierenden müssen angeleitet werden. Wenn man noch nie vor einer Klasse stand, ist es schwierig, Unterricht zu planen, deshalb engagieren die Kollegen vor Ort sich viel ehrenamtlich." Die aktuelle Situation sei aus Lehrersicht kein Zustand von Dauer: "Die Lehrkräfte können irgendwann nicht mehr." Zum einen gebe es viele Herausforderungen im Schulalltag, auch wüchsen die Klassen immer weiter. "Es kommt immer mehr auf die Kollegen zu." Das liege auch an den Notmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie. Dass Schwangere nicht arbeiten dürfen, erschwert die Situation zusätzlich. Schulze versteht die Regelung nicht: "Das gibt es woanders nicht, in keinem Krankenhaus muss eine schwangere Krankenschwester zu Hause bleiben, sondern darf arbeiten gehen."
Unterschiedliches Einstiegsgehalt an den Schulzweigen bringt Probleme
Doch was lindert den Lehrermangel? Der BLLV habe Ideen eingebracht, das Studium zu modifizieren, damit Lehrkräfte künftig flexibler sind und sich nicht auf Schulformen festlegen, sagt Grimm. Auch sollen die Lehrämter bezüglich der Bezahlung gleichwertig werden, aktuell haben Gymnasial- und Realschullehrkräfte ein höheres Einstiegsgehalt als an Grund- und Mittelschulen. Auch die Stunden zu reduzieren, wäre eine Möglichkeit, um Lehrkräfte zu entlasten und um junge Lehrerinnen und Lehrer zu motivieren. "Ich wünsche mir, dass Ruhe in das System reinkommt, damit wir wieder das machen, wofür wir da sind, nämlich mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten."
Das Einstiegsgehalt stellt für Schulze ein großes Problem dar: "Zwischen Gymnasien und Realschulen und Mittel- und Grundschulen unterscheidet sich das Einstiegsgehalt um 600 Euro netto. Wenn mir ein Lehrer, der Familienvater ist, sagt, dass er von der Mittelschule zur Realschule geht, weil diese 600 Euro seines Hauskredits bezahlen, verstehe ich das."
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