Die Kunst der Schlagzeile
Zwei Ausstellungen des Pop-Artisten, eine in Frankfurt am Main, eine in Bonn am Rhein
Frankfurt am Main/Bonn Die Beispiele dafür, dass Künstler Einfluss auf die Entwicklung von Politik und Gesellschaft ausüben, hält sich in Grenzen. Aber es gibt sie: Astrid Lindgren gelang es einst auch durch ihre Kurzgeschichte „Hexe Pomperipossa in Monismanien“, den schwedischen Steuersatz zu drücken, und ohne Andy Warhol gäbe es heute nicht die Zeitschrift Bunte, jedenfalls nicht in ihrer speziellen Funktion als People- und Society-Organ. Hubert Burda bekennt es selbst: „Eine Idee, die ich Andy Warhol verdanke.“ (Warhol hatte ja selbst 1969 mit Interview eine US-Lifestyle-Zeitschrift gegründet, die seit diesem Jahr der Bunten in Deutschland Konkurrenz macht.)
Anfang der 70er Jahre lernten sich Warhol und Burda kennen, gegenseitige Besuche folgten sowie jene großformatige Acryl- und Siebdruckarbeit „Magazine & History“ (1983), die 25 Titelbilder der Bunten bzw. ihrer Vorläufer auf Leinwand versammelt. Das Bild hängt derzeit im Frankfurter Museum für Moderne Kunst, das sich dem ergiebigen Thema „Warhol: Headlines“ („Warhol: Schlagzeilen“) widmet.
Mit Anspruch auf Vollständigkeit
Warum ergiebig? Auch deshalb, weil selbst 25 Jahre nach Warhols Tod noch immer nicht sein Nachlass vollständig katalogisiert worden ist. Zwischen 1974 und 1987 füllte der manische Sammler Warhol 612 sogenannte „Time Capsules“ mit Alltagsdokumenten, darunter viele Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren. Das war nicht absonderlich für den Pop-Artisten, dessen Erfolg in doppelter Hinsicht von auflagenstarken Print-Organen (und vom TV) abhängig war. Seit 1956 hatte er die Massenmedien auf der Suche nach Verwertbarem für Design und Kunst durchkämmt – und was er dabei fand und verarbeitete, dies zeigt nun eben das Frankfurter MMK. Und zwar mit dem hohen Anspruch auf Vollständigkeit, was u.a. Leihgaben aus Washington, Pittsburgh und Rom nötig machte.
„Mann schließt Berufsausbildung zum Klempner/Dampfinstallateur ab“ – diese grundstürzende Sensationsmeldung erschien am 23. August 1956 auf der ersten Seite (!) der US-Zeitung The Princeton Leader. Und was tat Warhol mit der Titelseite? Er schrieb und malte sie per Kugelschreiber auf Papier ziemlich getreu ab – tauschte aber einen Namen darauf gegen den Namen eines Freundes aus. Das Blatt hat den Rang einer Skizze für jene großformatigen Leinwandwerke, die folgen sollten, von „129 Die in Jet“ (1962) über „Daily News“ mit der Nachricht über einen Zusammenbruch des Liz-Taylor-Ehemanns Eddie Fisher (1962, Abbildung Seite 1 dieser Zeitung) bis hin zu drei Blow-up-Tafeln mit der Schockmeldung über eine italienische Naturkatastrophe („Fate Presto“, 1981). Gerade die Todes- und Unglücksnachrichten waren es ja, die Warhol so faszinierten – darunter natürlich auch die Ermordung J. F. Kennedys 1963, die er 1968 für eine Siebdruckmappe verarbeitete. Textgrundlage: Fernschreibertexte einer Nachrichtenagentur in den Stunden rund um die Schüsse vom 22.November. Diesem ernsten Werk namens „Flash“ stehen an anderer Stelle Arbeiten von parodistischem Charakter gegenüber.
Dreierlei Handschriften in der Bundeskunsthalle
In der Frankfurter Schau, die mithin eine Wurzel der Kunst Warhols beleuchtet, hängen mehrere Arbeiten, die der 1928 Geborene gemeinsam mit den jungen Kollegen Keith Haring und Jean-Michel Basquiat malte. Sie sind gleichsam das Bindeglied zu einer Schau in der Bundeskunsthalle Bonn, die sich unter dem berechtigt zweideutigen Titel „Ménage à trois“ jenen Großformaten widmet, die Warhol zusammen mit dem jung gestorbenen Basquiat sowie mit dem in Neapel geborenen Francesco Clemente schuf. Handschriften prallen hier aufeinander: der Hang zum Schwülstigen bei Clemente, Schablonenhaftes und Schematisches bei Warhol, Ungebändigtes und Unbedingtes bei Basquiat, der besonders mit seinen aus kleinen Schriftstücken zusammengesetzten Bildern beeindruckt. Warhol hingegen, schon ein Star, hielt sich oft demonstrativ zurück.
MMK Frankfurt bis 13. Mai, Di., Fr. bis So. von 10 bis 19 Uhr, Mi./Do. von 10 bis 22 Uhr, Katalog 39,95 Euro
Bundeskunsthalle Bonn bis 20. Mai, Do. bis So. 10 bis 19 Uhr, Di./Mi. 10 bis 21 Uhr, Katalog 29 Euro
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