Die wunderbare Welt der Kiki Smith
Weil die US-Künstlerin ihr gesamtes Druck-Werk der Graphischen Sammlung München schenkte, richtet ihr die Pinakothek der Moderne eine fabelhafte Schau aus
Am Anfang ist das Papier. Bei Künstlern mag das nichts Ungewöhnliches sein, auch in digitalen Zeiten legen die meisten immer noch mit dem Stift los, um ihre Ideen zu formulieren. Genauso hat Kiki Smith ihr Skizzenbuch in der Tasche, doch zum Arbeiten auf Papier pflegt sie noch einmal eine besondere Beziehung: „Ich bin Druckerin“, betont die in Nürnberg geborene Amerikanerin: „Meine Werke entwickeln sich oft aus meinen eigenen Druckgrafiken; sie dienen mir als Vorlage“.
Man vergisst das leicht, wenn man vor Kikis riesigen Wandteppichen steht, die letztes Jahr noch im Haus der Kunst einen Saal dominierten. Oder vor ihren eindringlichen Tierskulpturen, aus deren Bäuchen sich zuweilen Menschen schälen wie bei einer Geburt oder Metamorphose im Reich der Mythen. Wer ihrem Œuvre auf die Spur kommen will, findet in ihrer Grafik so etwas wie Rezeptbuch und Schaltplan in einem. Vor diesem Hintergrund ist die Schenkung ihres druckgrafischen Gesamtwerks – wir sprechen von 800 Blättern – an die Staatliche Graphische Sammlung München mindestens großzügig und die von Birgitta Heid kuratierte Auftakt-Ausstellung ein Dankeschön, das kaum beeindruckender hätte ausfallen können.
Herz und Hände, Magen und Hirn
Es ist die Vielfalt der Ausdrucksformen, die bei Kiki Smith immer wieder erstaunt – und damit verbunden die Experimentierfreude, die die 65-Jährige bis heute umtreibt. Sich selbst auf den Kopierer zu legen, gehört zu den harmloseren Unternehmungen, da sei sie einfach Kind der „Xerox-Generation“, wie sie sagt. Aber ihr geht es ja so oft um den Einsatz des Körpers, auch weil sie gerne selber etwas anpackt. Der frühe Endlos-Linolschnitt, der sich jetzt im zentralen Raum der Kiki-Smith-Schau gleich einem schmückenden Fries die Wand entlang zieht, reiht seine Bestandteile wie in einer Prozession aneinander: Herz, Gesicht, Lungenflügel, Zähne, Magen, Gehirn und dazwischen Hände in sämtlichen Stellungen – wie im Vorlagenbuch eines alten Meisters. „How I know I’m Here“ (1985/2000) nennt sie diese Vergewisserung der eigenen Existenz, und man könnte die Arbeit durchaus als Leitmotiv ihres Schaffens verstehen.
Kiki Smith kreist allerdings in den seltensten Fällen ums eigene Ich. Ihre Haut zeigt sie, wenn überhaupt, in eher kuriosen Körpererkundungen wie dem Rundumporträt „My Blue Lake“ („Mein blauer See“, 1995) – immerhin besteht der Mensch zu 70 Prozent aus Wasser. Dafür ließ sich die Künstlerin im British Museum mit einer alten Kamera von allen Seiten aufnehmen, um die Dreidimensionalität in die Fläche zu zwingen. Das Ergebnis, eine subtil kolorierte Fotogravüre, ist vielleicht das verblüffendste Werk der Ausstellung. Doch selbst bei dieser „ausgerollt“ allansichtigen Kiki überwiegt der Verweis auf die menschliche Hülle, die jeden ummantelt. So, wie bei ihr stets das Kreatürliche an sich gemeint ist, und damit Leben und Tod, Werden und Vergehen.
Ein Bild der totenKatze „Ginzer“
Das kann im Ei als Symbol der Fruchtbarkeit zum Ausdruck kommen oder im Übergang vom Mädchen zur Frau, in der Wiedergeburt von Rotkäppchen und der Großmutter aus dem Bauch des Wolfs („Born“, 2002) oder in ihrer toten Katze „Ginzer“ (2000), in der siechenden Mutter im Hospital („Mortal“, 2007) oder in den welkenden Blumen, die sie nach deren Tod in der berührenden Radierungsserie „Touch“ festhielt. „Touch“ lautet auch der Titel ihrer Ausstellung, und es stimmt ja, man kommt Kiki Smith in der Grafik so nah wie sonst nirgends. Zumal sie in keinem anderen Medium Selbstbildnisse geschaffen hat.
Durch viele Besuche wuchs Kiki Smith München ans Herz
Wenn man auf die Entwicklung ihres Werks blickt, fällt die Natürlichkeit auf, mit der die Selfmade-Frau vorgeht – gepaart mit einer ganz unbefangenen, fast kindlichen Neugier. Dabei hat die Tochter des Bildhauers Tony Smith lange damit gehadert, den Weg des Vaters einzuschlagen. Und so richtig legte sie auch erst los, nachdem das dominante Familienoberhaupt 1980 gestorben war. Wenn Kiki Smith Glimmer aufs Blatt streut und damit einen „Shooting Star“ (2008) mit beträchtlichem Schweif starten lässt, dann darf man das auch als augenzwinkernden Kommentar zur eigenen Karriere verstehen. Nebenbei hat der Glitzerstaub etwas von Kleinmädchen-Glamour – latente Selbstironie ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Und das Schimmern passt auch wieder so schön zu München, das Kiki durch viele Besuche spürbar ans Herz wuchs.
„Touch. Prints by Kiki Smith“, bis 26. Mai in der Pinakothek der Moderne, Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Katalog (Verlag der Buchhandlung Walther König) 58 Euro
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