Das gab's noch nie: Belletristik-Preis geht erstmals an Lyriker
Bereits seit zehn Jahren wird der Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. Nun gelang dem Jan Wagner der Sieg - mit seinem Gedichtband "Regentonnevariationen".
Schon die Nominierung von Jan Wagner und seinem Lyrikband „Regentonnenvariationen“ für den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse kam einer Sensation gleich. Waren in den zehn Jahren seit Bestehen des Preises doch ausschließlich Prosatitel im Rennen gewesen. Nun ist die Sensation perfekt. Mit der gestrigen Verleihung in Leipzig geht erstmals einer der beiden publikumswirksamsten Literaturpreise im Lande – der andere ist der im Herbst anstehende Deutsche Buchpreis – an einen Lyrikband und seinen Autor.
Jan Wagner erhält Belletristik-Preis für seinen Lyrikband
Die Wahl der Leipziger Jury ist durch und durch gerechtfertigt. Denn der 1971 in Hamburg geborene Wagner gehört zu den herausragenden Lyrikern deutscher Sprache. Und das nicht erst seit den 55 Gedichten der „Regentonnenvariationen“, obwohl der bereits im Spätsommer letzten Jahres bei Hanser Berlin erschienene Band den Rang Wagners aufs Schönste bestätigt.
Man nehme nur das erste Gedicht, das über den als Unkraut verschrienen Giersch, das unschwer zu erkennen gibt, welche Sprachkraft, welche Sprachlust diesem Dichter eigen ist: „... hinter der garage / beim knirschenden kies, der kirsche: giersch / als schäumen, als gischt, der ohne ein geräusch // geschieht, bis hoch zum giebel kriecht, bis giersch / schier überall sprießt, im ganzen garten giersch / sich über giersch schiebt, ihn verschlingt mit nichts als giersch.“ Welch ein Lauschen nach Klängen, welch ein Schäumen der Laute!
Jan Wagner gelingt die "Wiederverzauberung der Welt"
Nicht nur in den „Regentonnenvariationen“, seinem mittlerweile sechsten Gedichtband, nimmt Wagner die kleinen, oft übersehenen Dinge und Phänomene in den Blick. Das ist keine Lyrik, die den vermeintlichen oder tatsächlichen Tagesaktualitäten hinterherhechelt. Wagner schreibt lieber über Tennisbälle oder Servietten, über Pflanzen und Tiere, sogar über Mücken. Und leistet somit etwas, was wie nur wenig anderes eben die Lyrik vermag: eine Wiederverzauberung der Welt. Dass er dabei hohe Kunstfertigkeit mit einem schwebend leichten Ton verbindet, dass seine Gedichte ganz entgegen dem Lyrik-Klischee leicht verständlich sind, auch das macht Wagner zu einem würdigen Leipziger Buchpreis-Träger.
Jeweils 15000 Euro gehen auch an die beiden weiteren Preisträger, die Gewinner in den Sparten Sachbuch und Übersetzung. Philipp Ther wurde ausgezeichnet für seinen Sachbuch-Titel „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa“ (Suhrkamp). Preisträgerin unter den Übersetzern ist in diesem Jahr Mirjam Pressler für ihre Übertragung von Amos Oz’ Roman „Judas“ (Suhrkamp) aus dem Hebräischen.
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