Christoph Hein und „Das Leben der Anderen“
War der Schriftsteller das Vorbild zum Film? In seinen Erinnerungen kritisiert er den Oscar-Sieger scharf
„Mein Leben, leicht überarbeitet“ heißt eine Geschichte, die für Unruhe, gegenseitige Bezichtigungen und auch deutsch-deutsches Gerangel sorgt, 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Darin verwickelt: Christoph Hein, einer der profiliertesten deutschen Autoren, der seine eigene DDR-Vergangenheit immer wieder zum Thema macht; Ulrich Mühe, deutscher Schauspielerstar, Hauptdarsteller auch im oscarprämierten Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“, und dessen Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, der zuletzt wieder mit einem deutsch-deutschen Drama für den wichtigsten Filmpreis der Welt nominiert gewesen war – aber von dem, dessen Leben dem Streifen zugrunde gelegen haben soll, kritisiert worden war: von einem der weltweit renommiertesten Gegenwartsmaler, Gerhard Richter, der „Werk ohne Autor“ missbilligte.
Die Geschichte, die Hein nun in seinem Erinnerungsband „Gegenlauschangriff“ veröffentlicht, der generell mit aufklärerischen Gestus Anekdoten aus der deutsch-deutschen Vergangenheit versammelt, geht so: Spontan seien 2002 sein Freund Ulrich Mühe und ein Filmemacher bei ihm zu Besuch gewesen, weil jener für sein Drehbuch ein paar Fragen gehabt habe, nämlich über „das typische Leben eines typischen Dramatikers in der DDR“. Und auch wenn er den Zugriff verlachte, gab Hein, so Hein, jenem „sehr jungen und sehr großen Mann“ über vier Stunden hinweg Auskunft. Und dann sah Hein irgendwann „Das Leben der Anderen“ von Donnersmarck, stellte fest, die Geschichte sei „bunt durcheinander gemischter Unsinn“, entdeckte aber ausdrücklichen Bezug und Dank des Regisseurs Donnersmarck im Abspann an ihn, Hein.
Heute stellt er fest: „Mein Leben verlief völlig anders. Aber diese Wahrheit ist für ein Melodrama ungeeignet…“ Aber: „Der Film wurde ein Welterfolg. Es ist aussichtslos für mich, meine Lebensgeschichte dagegensetzen zu wollen. Ich werde meine Erinnerungen dem Kino anpassen müssen…“ Wobei: Damals bat er den Regisseur, den Dank zu streichen, der habe darauf verständnislos bis verärgert reagiert – und künftig behauptet, der Film basiere auf Erlebnissen Wolf Biermanns. Was Hein wiederum für Unsinn hält, weil jener zu Zeiten der Filmgeschichte längst aus der DDR ausgewiesen worden war.
Damit beginnt die Posse erst. Hein hatte seine Position vorab in der SZ veröffentlicht. Im Gegenschlag war dann in der FAZ aufgereiht, was an seiner Darstellung nicht stimmen könne. Mühe und Donnersmarck hätten einander erst viel später kennengelernt, einen Vorspann zum Film gebe es gar nicht (in der im Buch gedruckten Hein-Darstellung ist nur noch vom Abspann die Rede) und im Abspann sei er lediglich als „Historischer Berater“ genannt…
Was die Geschichte aber übers Rechthaben hinaus interessant macht, ist zweierlei. Erstens die derzeit immer stärker auftretende Frage (siehe Gerhard Richter, siehe das Buch „Stella“ von Takis Würger): Wie weit darf ein Autor in der Verarbeitung einer echten Lebensgeschichte gehen? Und besonders interessant, wenn ausgerechnet Künstler als Betroffene der künstlerischen Freiheit anderer klagen. Zweitens die Frage, wer über die Deutungsmacht und Wahrheit im historischen Erinnern verfügt. In den USA etwa gab es Proteste, weil ein weißer Maler das ikonenhafte Foto eines durch Rassismus zu Tode gekommenen Jungen verarbeitete. Und solcherlei Gedenk-Kolonialismus scheint auch Christoph Hein zu treiben, was das deutsch-deutsche Erinnern angeht.
Wie Wolf Biermann in seinem aktuellen Erinnerungsbändchen „Barbara“ leuchtet nun Hein nach seinem so großartigen Roman „Trutz“ in die absurden bis unmenschlichen Verstrickungen der DDR-Gesellschaft. Er liefert dabei tatsächlich mitunter Szenen, die nicht weniger dramatisch sind als das, was „Das Leben der Anderen“ aufbot.
Aber wichtig scheint dem Autor doch auch der Fingerzeig darauf, wie in der „Wiedervereinigung“ generell und konkret im Umgang mit den neuen Mitbürgern auch die Bundesrepublik weit entfernt vom Hort der Freiheit und Gleichheit lag. Vom herabwürdigenden Gerangel um ihn selbst als Kandidaten für die Intendanz am Deutschen Theater erzählt Christoph Hein in der Geschichte „Die Neger“. Und solcherlei erklärt wohl weit über seine Person hinaus, wie ein noch heute existierender Hegemoniegestus im Westen die Menschen im Osten betrachtet, behandelt. Und das ist durchaus von politischer Brisanz – man denke nur an die bald anstehenden Landtagswahlen…
Christoph Hein: Gegenlauschangriff Suhrkamp, 122 Seiten, 14 Euro
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