Das Astrid-Lindgren-Gen
Bart Moeyaerts Bücher sind geprägt davon, Kinder tabulos die Welt erobern zu lassen. Deshalb bekommt er den schwedischen Preis
Könnte es einen besseren Preisträger für den Astrid-Lindgren-Preis geben als einen, der das Folgende von sich sagt? „Pippi Langstrumpf hat mich gefüttert; aufgewachsen bin ich in einem schwedischen Dorf, das Bullerbü heißt; und ansonsten bin ich durchtränkt von warmherzigen schwedischen Müttern, schwedischen Bauernhöfen und strengen schwedischen Wintern. Manchmal denke ich, dass ich Astrid Lindgren in meinen Genen habe.“
Seit vielen Jahren zählt der Belgier Bart Moeyaert zu den bedeutendsten Autoren für junge Leser. Und wie die große schwedische Schriftstellerin, in deren Namen er jetzt geehrt werden wird, sind seine Bücher geprägt von der Haltung, Kinder ernst zu nehmen in ihren Wünschen und Bedürfnissen und sie selbstständig und tabulos die Welt erobern zu lassen. „Sie müssen diese Offenheit spüren, über alles reden zu können, aber wissen, dass wir sie begleiten dabei, weil sie noch weniger Erfahrung haben.“
Zu verstehen ist dies nicht nur als Zutrauen in kindliche Fähigkeiten, sondern auch als Absage an eine Literatur für junge Menschen, die die Welt als rosarot und sorglos darstellt. In der Konsequenz sieht er seine Bücher auch nicht als Kinder- und Jugendbücher. „Ich schreibe für Menschen“, sagt der Belgier, der 1964 in Brügge geboren wurde und heute in Antwerpen lebt. Und über Kinder und Jugendliche schreibe er, „weil sie suchen, Fehler machen dürfen und ihnen noch alle Möglichkeiten offenstehen“.
In seinen Büchern scheut sich Bart Moeyaert nicht, auch schwierige Themen anzusprechen, „weil es eben das Leben ist“. In dem 1998 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten „Bloße Hände“ beschreibt er zum Beispiel die Spirale von Gewalt und Rache, die ein Zehnjähriger entfacht. Dessen Gefühlssturm aus Einsamkeit, Wut, Angst und Enttäuschung macht er in schmerzlicher Weise sichtbar. „Bart Moeyaerts verdichtet und seine musikalische Sprache vibriert von unterdrückten Emotionen und unausgesprochenen Wünschen“, begründete die Jury in Stockholm denn auch ihre Entscheidung für den Preisträger.
Geschrieben hat Bart Moeyaert schon als Jugendlicher. Mit 19 Jahren veröffentlichte er sein Debüt „Leander, Liselot und die Liebe“; an die 50 weitere Bücher folgten. Oft spielen sie in einem familiären Umfeld, sind durchzogen von einem melancholischen Grundton, den ein feiner Humor aufhellt. Geprägt sind sie von einer genauen Beobachtungsgabe, die die jungen Protagonisten in ihrer Mimik, Gestik und in ihren Bewegungen ebenso charakterisiert wie ihre komplexe Gefühlswelt.
Geschult wurde diese Erzählkunst Moeyaerts in einer Familie mit sechs älteren Brüdern. Abend für Abend sprach man da am Tisch über die Erlebnisse des Tages. „Ich lernte zuzuhören, und ich lernte, wie man eine Geschichte nicht erzählen darf, weil sie sonst langweilig wird.“ Das hat dem Belgier nun den mit fast 500000 Euro höchstdotierten Preis der Kinder- und Jugendliteratur eingebracht.
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