Das Reisen und das Schreiben
Nobelpreisträger V.S. Naipaul ist tot
Ein Schriftsteller mit doppeltem Migrationshintergrund: 18-jährig zog V.S. Naipaul nach England und sagte seinen Eltern auf Trinidad Lebewohl. Deren Vorfahren waren aus Indien in die Karibik gekommen. Brite, Inder und Karibe: Die Erfahrung, verschiedenen Kulturen anzugehören und in keiner ganz zu Hause zu sein, prägte das Schaffen des Literaturnobelpreisträgers. Am Samstag ist V.S. Naipaul 85-jähirg in London friedlich im Kreis seiner Familie gestorben. Der berühmte Literat hinterlässt seine Frau Nadira und eine Tochter.
Geboren wurde Sir Vidiadhar Surajprasad Naipaul 1932 in Chaguanas, einer Kleinstadt, eine halbe Autostunde von Trinidads Hauptstadt Port of Spain. Diese Region wirkt mit ihren Hindutempeln und Moscheen wie ein Stück Asien in der Karibik – Spuren der Einwanderer, die die britischen Kolonialherren im 19. Jahrhundert als Arbeiter vom indischen Subkontinent holten. Auch Naipauls Geburtshaus, ein Gebäude im nordindischen Baustil, steht dort noch. Das „Lion House“ ist einer der Schauplätze in Naipauls wohl bekanntestem Roman, „Ein Haus für Mr. Biswas“ (1961).
Hinter dem Romanhelden Biswas steckt Seepersad Naipaul, der früh verstorbene Vater des Autors. Unter Mühen gelang es ihm, vom bettelarmen Dörfler zum Journalisten in der Hauptstadt aufzusteigen, sich vom Clan der Schwiegereltern in Chaguanas zu lösen und ein Haus in Port of Spain zu kaufen. Das eigene Haus hieß für ihn, „einen Anspruch auf seinen Teil der Erde geltend zu machen“. Den Sohn aber trieb es in die Ferne. Ein Stipendium ermöglichte 1950 ein Studium in Oxford, und obwohl V.S. Naipaul unter Heimweh litt, war er fest entschlossen, nicht auf sein tropisches Eiland zurückzukehren. „Ich würde geistig völlig verkümmern“, schrieb er seinem Vater. Trinidad, das waren für ihn Unterentwicklung und Perspektivlosigkeit, Großbritannien dagegen Bildung und Zivilisation.
Nach Jahren als Journalist für britische Medien begann Naipaul, Romane zu schreiben. Die ersten spielten noch auf Trinidad. Später erkundete er auf vielen Reisen Afrika, Asien, Lateinamerika und verarbeitete seine Eindrücke in Romanen, Reportagen, Essays. In „Land der Finsternis“ (1964) und zwei Folgebänden analysierte er kritisch die Verhältnisse in Indien. In „Eine Islamische Reise“ (1981) wurde er zum Islamkritiker. „An der Biegung des großen Flusses“ (1979) beschreibt die Gewaltherrschaft in unabhängig gewordenen Staaten Afrikas. Kritiker warfen Naipaul neben Arroganz und Ruppigkeit vor, die Welt vor allem aus dem Blickwinkel von Kolonialherren zu betrachten. In der 2008 erschienenen autorisierten Biografie „The world is what it is“ (Die Welt ist, was sie ist) beschrieb ein britischer Literaturwissenschaftler zudem wenig schmeichelhaft, wie der Nobelpreisträger seine erste Ehefrau und langjährige Geliebte über Jahrzehnte demütigte. (dpa)
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