Das legendäre Label Motown wird 50
Detroit (dpa) - Es ist eine Geschichte wie aus dem Bilderbuch: 1959 leiht sich der 29-jährige Berry Gordy, zuvor Schulabbrecher und Fließbandarbeiter, von seiner Familie 800 Dollar.
Damit gründet in einem kleinen Holzhaus in Detroit eine Plattenfirma und macht aus dem Label Motown innerhalb weniger Jahre eines der erfolgreichsten Musikunternehmen der Popgeschichte - mit legendären Künstlern wie Stevie Wonder, Diana Ross, Marvin Gaye und Smokey Robinson. Am Montag (12. Januar) feiert das Label seinen 50. Geburtstag.
Das Besondere an der Geschichte: Gordy war der erste Schwarze in den USA, der eine Plattenfirma besaß. Mit seinem untrüglichen Gespür für den Publikumsgeschmack machte er schwarze Musik auch für das weiße Amerika salonfähig und revolutionierte damit die Popkultur des Landes für immer. Der gefällige Motown-Sound, eine Mischung aus Soul und Pop, eroberte in den 60er Jahren die bis dahin für weiße Künstler reservierten US-Charts - ein Meilenstein im Kampf gegen die Rassentrennung.
Gordy war allerdings weniger von missionarischem Eifer getrieben als von geschäftlichem Kalkül. Als Songschreiber für andere Musiker wie Jackie Wilson ("Lonely Teardrops") hatte er erfahren, dass das Geld eher auf der Produktionsseite gemacht wird. Nach der Gründung seines Unternehmens, anfangs Tamla Records genannt und später nach der Autostadt Detroit ("Motor-Town") Motown getauft, erschien 1960 als erster Song Barrett Strongs "Money (That's What I Want)" - fast ein Programm.
Noch im selben Jahr folgte mit dem Superhit "Shop Around" von den Miracles der erste Millionenseller, der Erfolg war nicht aufzuhalten. Allein in den kommenden zehn Jahren brachte Motown mehr als 100 Top- Ten-Songs auf den Markt, darunter die Dauerbrenner "Dancing In The Street" von Martha & The Vandellas (später von David Bowie und Mick Jagger gecovert), "What's Going On" von Marvin Gaye, "Papa Was A Rolling Stone" von den Temptations und "Stop! In The Name of Love" von den Supremes.
Die Firma explodierte regelrecht: Das kleine Haus in Detroit, selbstbewusst Hitsville U.S.A. genannt, wurde bald zu klein. Gordy kaufte oder mietete zahlreiche Immobilien dazu, gründete Subunternehmen und weitere Labels. Bald war er der reichste schwarze Unternehmer Amerikas. Sein Erfolgsrezept: Motown wurde straff als Hitfabrik geführt, nach dem Prinzip "hire and fire". Produzententeams schrieben Songs wie am Fließband, spielten sie mit der Hausband ein und ließen sie dann von den Künstlern singen. Einmal pro Woche kontrollierte Gordy das gesamte Material: Was nicht absolut hitverdächtig war, kam weg. Notfalls mussten auch die Produzenten gehen.
Eine besondere Rolle spielte in der Maschinerie die Hausband. Wie der rauere Südstaaten-Konkurrent Stax in Memphis hatte auch Motown seine eigene professionelle Musikergruppe. Mit dem Pianisten Earl van Dyke, dem Bass-Genie James Jamerson, Schlagzeuger Uriel Jones und anderen großartigen Live-Performern brachte Gordy dafür unter dem Namen Funk Brothers die besten Blues- und Jazzmusiker der Stadt zusammen. Für wenig Geld, aber voller Elan produzierten sie im legendären Studio A, von ihnen "Schlangengrube" genannt, den typischen Motown-Sound nach dem von Gordy ausgegebenen KISS-Prinzip: "Keep It Simple, Stupid" (Halt's einfach, Du Dummkopf!).
1972 zog die Firma nach Los Angeles um: Gordy wollte das inzwischen gestartete Filmgeschäft ausweiten - nicht zuletzt, um seiner damaligen Lebensgefährtin Diana Ross ("Lady Sings the Blues") ein Sprungbrett für die Hollywoodkarriere zu bieten. Die Funk Brothers blieben in Detroit zurück, und auch sonst sprangen nach und nach einige Stars ab. 1988 verkaufte Gordy das Label für 61 Millionen Dollar. Später bekam er von EMI Music für die Musikrechte in mehreren Schritten nochmals gut 300 Millionen Dollar.
Inzwischen gehört Motown zum internationalen Musikgiganten Universal Music Group, der das Label als Markenzeichen weiterführt. Zum 50. Geburtstag erscheinen zahlreiche Neuauflagen der eingängigen Klassiker, unter anderem die Sammeledition "Motown: The Complete Number 1s" mit den über 190 Songs der Firma, die jemals auf Platz eins einer Hitliste landeten. "Die Leute wundern sich, warum ich mich so über das Jubiläum freue", sagte der inzwischen 79 Jahre alte Gordy kürzlich seiner Heimatzeitung in Detroit. "Ich glaube, das kommt, weil ich Motowns Vermächtnis 50 Jahre lang bewahrt habe."
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