David Foster Wallace - die traurige Ikone
Kann man besser über die heutige Welt schreiben als er? Vor zehn Jahren starb der US-Autor David Foster Wallace. Sein Leben war tragisch, sein Werk ist legendär.
Es gibt so viele Momente am Werk und am Leben dieses Mannes, die einem den Atem stocken lassen, dass es das nun wirklich nicht auch noch gebraucht hätte.
Zum diesjährigen zehnten Todestag von David Foster Wallace kündigte sich gerade die nächste Welle der Heiligenverehrung an, da meldete sich seine Ex-Freundin zu Wort, Mary Karr. Und erzählte, dass auch dieser Kult gewordene Typ zu den „MeToo“-Fällen gerechnet werden sollte. Er habe nicht nur einen Kaffeetisch nach ihr geworfen, sie aus dem fahrenden Auto gestoßen und nach der Trennung versucht, einen Auftragsmörder auf Karrs Mann anzusetzen – so viel Wahn am Genie hat es ja immerhin auch in die Wallace-Biografie von D. T. Max geschafft, „Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte“. Er habe sie zudem geschlagen und getreten, sie nach der Trennung monatelang tyrannisiert, sei an ihrem Haus herumgeklettert, sei ihrem Sohn auf dem Schulweg gefolgt … – Widerlichkeiten, die man an dieser Ikone aber offenbar nicht kratzen sehen wollte, sie wurden, so Karr, von den sonst bereitwilligen Enthüllern des Magazins New Yorker als „angebliche“ verworfen.
Hochbegabt wie tieftraurig
In Erinnerung bleiben nämlich soll ein Typus, der traditionell zu den legendären der (Pop-)Kultur gehört: das tragische Genie, so hochbegabt wie tieftraurig, ein hochsensibler Sonderling, der in die tiefen Abgründe des Lebens blickte und darum allzu früh dem eigenen selbst ein Ende bereitete. Wie Georg Büchner, wie Kurt Cobain, wie Ernst-Ludwig Kirchner … Denn David Foster Wallace erfüllt dafür alle Voraussetzungen geradezu idealtypisch. Das zu erkennen, muss man noch nicht einmal literarisch interessiert sein. Aber gleichzeitig wird DFW von kaum jemandem so verehrt wie von Schriftstellern – „an author’s author“ wie die Amerikaner sagen, ein Autor für Autoren. Wie das zusammengeht?
Aktuellster Anlass, bei dem einem der Atem stocken kann: „Der Spaß an der Sache“. So heißt der Sammelband, der nun auch auf Deutsch alle Essays dieses Autors zugänglich macht. Die Vielfalt und die Versiertheit sind umwerfend. So ist natürlich die zauberhafte Rede enthalten, die er mal in guter US-Tradition vor Abschlussschülern an seiner alten Schule gehalten hat: „Das hier ist Wasser“, eine weltliche Predigt über die Menschlichkeit. Dazu übers Allzumenschliche: eine irrwitzige Kreuzfahrt-Reportage „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“. Dazu übers Übermenschliche: Eine detailvernarrte Betrachtung dieses ehemaligen Jugend-Leistungstennisspielers Foster Wallace über die besonderen Fähigkeiten in „Federer aus Fleisch und nicht“. Dazu über das Unmenschliche: Eine schneidende Analyse über die politische Radikalisierung des amerikanischen Privat-Radios durch quotenbringende Emotionalisierung, die man heute als umfassende Medien lesen kann. Dazu Menschliches: ein starkes Porträt über John McCain, als dieser republikanischer Präsidentschaftskandidat war. Dazu Sprache, Literatur, Film, Fernsehen …
Virtuos in allen Erzählformen
Und das führt auch zum frühesten Anlass, bei dem einem der Atem stocken kann: 1984, DFW war gerade 24 Jahre alt – in einem Dorf aufgewachsen, Sohn einer Professorin und dann ausgezeichneter Mathematik- und Philosophiestudent –, da erschien sein Romandebüt, auf Deutsch „Der Besen im System“. Und bereits hier zeigte sich, in welcher Virtuosität er über alle Erzählformen und Stimmungen verfügte, vom erotischen Dialog über die kluge Betrachtung bis zur packenden Schilderung, vom Slapstick-Witz bis zur suizidalen Depression.
Was zum letzten Anlass führt, bei dem einem der Atem stocken kann: Im Jahr 2006 hatte der da in den USA längst gefeierte, als Vorzeige-Autor lehrende und samt seines Stirnbands immer wieder ikonisch auf Fotos wirkende DFW ein seltenes Interview gegeben. Es ging darin um die Unfähigkeit zum Glücklichsein gerade in Wohlstandsgesellschaften, als er sagte: „Bei uns gibt es ein Sprichwort: Gib einem Mann genug Seil, und er erhängt sich.“ Und zwei Jahre später erhängte sich dieser David Foster-Wallace dann mit einem Seil in der Garage.
Experte für Drogen und Alkoholismus
Er hatte seine Frau für ein paar Stunden aus dem Haus geschickt, auf dem Tisch lagen sauber gestapelt die vielen Seiten eines letzten, großen, gescheiterten Romanprojekts – und die Medikamente, die er all die Jahre gegen seine Depressionen genommen, dann aber abgesetzt hatte, weil es ihm gut ging, sie hatten jetzt, bei Rückkehr der Krankheit, nicht mehr angeschlagen. Es war der tragische Endpunkt eines unentwegten Lebenskampfes, der David Foster Wallace zum Experten für Drogen und Alkoholismus machte, zum hellsichtigen Außenseiter. Der jene Kopftücher ja nur trug, weil jederzeit mögliche Panikschübe zu drastischen Schweißausbrüchen führen konnten. Der aus den eigenen Abgründen und Ängsten heraus den Wahn der modernen Welt erfasst.
Und so landet man unweigerlich beim größten Anlass, bei dem einem der Atem stocken kann: „Unendlicher Spaß“. Wenn DFW einst sagte: „Fiction’s about what it is to be a fucking human being“ (Literatur handelt davon, wie es verdammt noch mal ist, ein Mensch zu sein) – dann ist dieser über 1500 Seiten starke Ziegelstein von einem Buch das Meisterwerk dazu. Von manchen Kritikern gar als „Jahrhundertroman“ gefeiert, im Time-Magazin jedenfalls in die Liste der hundert wichtigsten Bücher der letzten hundert Jahre aufgenommen. Verschachtelt und vertrackt, in endlose Fußnoten ausufernd und voller Ideen, so aberwitzig wie klug: dass in absehbarer Zeit die Jahre einen Sponsorennamen tragen könnten etwa; oder dass der fieseste Terror-Virus die Verbreitung eines Filmes sein könnte, der mit totaler Unterhaltung das Gehirn tötet – „unendlicher Spaß“ eben.
Der Mensch am Durchdrehen
1996 erschien dieses Buch, das aber in verschiedenen Erzählsträngen auch in die Abgründe der Sucht und in die bizarre Leistungswelt einer Tennis-Akademie voller Pubertierender führt, bereits im Original. Dass es ganze 13 Jahre dauerte, bis die deutsche Übersetzung erschien, hat wesentlich damit zu tun, dass seine Sprachlust DFW bis zu veralteten Begrifflichkeiten aus jahrhundertealten Fachlexika führte und zu allerlei Wortspielen und -neuschöpfungen. Es ist ein Wahnsinnswerk, auch schon in rekordverdächtige Mammuthörspiele verwandelt und mit einer großen Ausstellung zeitgenössischer Kunststars gewürdigt, von Maurizio Catellan bis Daniel Richter. Leitendes Schlagwort: „Hysterischer Realismus“. Was bedeuten soll: Der Mensch ist in dieser Welt des frühen 21. Jahrhunderts, die Foster Wallace vorweggenommen hat, als Einzelner wie im Ganzen angesichts einer immer diffuseren Wirklichkeit am Durchdrehen, zwischen Euphorie und Depression. Und im Roman findet das tatsächlich seine Entsprechung: Er ist szenisch brillant, im Gesamten aber immer wieder an der Grenze zur Unlesbarkeit. Weil man sich jederzeit darin verlieren kann, durch das Nebeneinander des Unvereinbaren plötzlich nichts mehr versteht. Wie in der Welt eben.
Eine andere ihrer aktuell bestimmenden Facetten hatte er sich schließlich mit jenem Werk vorgenommen, das er nicht mehr vollenden konnte, das dann aber fremdbearbeitet und posthum doch noch veröffentlicht wurde: „Der bleiche König“. Es führt auch in der Lektüre selbst in die Leere, die Verlorenheit einer Existenz in unserer verwalteten Welt. Es könnte auch „Tödliche Langeweile“ heißen. Wenn es nicht zynisch wäre, könnte man es für durchaus passend halten, dass dieses traurige Genie dafür keine Lösung mehr gefunden hat.
David Foster Wallace: Der Spaß an der Sache. Übersetzt von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingendaay, Kiepenheuer&Witsch, 1088 S., 36 ¤
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