Der ganze Horror, die ganze Schönheit der Welt
Sebatião Salgado ist der wohl berühmteste Fotograf der Welt. Allerdings steht er für seine Bilder auch in der Kritik. Jetzt wird der Brasilianer 75.
Rio de Janeiro/Paris Sebastião Ribeiro Salgado hat sehr viel Leid, Elend und Gewalt gesehen. Der brasilianische Fotograf berichtete aus dem Irak-Krieg und vom Völkermord in Ruanda, über Flüchtlingsströme in Afrika und unmenschliche Arbeitsbedingungen in Lateinamerika. „Ich habe sehr schlimme Dinge gesehen“, vertraute er einem Interviewer an. „Ich habe Sachen erlebt, die mich an der Menschheit zweifeln lassen.“
Seine Fotografien aber sind von einer verstörenden Schönheit. Die Arbeiter, die in der brasilianischen Mine Serra Pelada unter härtesten Bedingungen der Erde ein bisschen Gold abringen, sind perfekt komponiert, bis hin zu den Falten im schlammverschmierten Hemd. Die brennenden Ölquellen in Kuwait faszinieren in ihrem Kontrast zwischen gleißenden Flammen und schwarzem Rauch. Selbst ein afrikanischer Flüchtling, der ein ausgemergeltes Kind in den Armen hält, wirkt in Salgados Schwarz-Weiß-Bildern elegant arrangiert.
Wegen solcher Aufnahmen nennen manche Kritiker Salgado einen „Ästheten des Elends“. Doch es geht dem Fotografen nicht um kalte Perfektion. Vielmehr will er mit seinen Bildern die Menschen zum Nachdenken bringen – über sich selbst, ihre Rolle in der Welt, ihre Beziehungen zu anderen. Der deutsche Regisseur Wim Wenders, der den Fotografen in seinem Dokumentarfilm „Salz der Erde“ porträtiert hat, sagt über Salgado: „Andere Fotografen sind ein paar Tage in einem Krisengebiet oder nur ein paar Stunden. Salgado hat oft Monate zugebracht, um die Menschen dort kennenzulernen.“
An diesem Freitag wird Salgado 75 Jahre alt. Er kam am 8. Februar 1944 in der Kleinstadt Aimorés im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais zur Welt, studierte Wirtschaftswissenschaften und floh dann vor der Militärdiktatur aus seiner Heimat nach Paris, wo er seinen Doktor in Ökonomie machte. Danach arbeitete er bei der Internationalen Kaffeeorganisation in London, bis sein Leben 1973 eine Wendung nahm: Auf einer Dienstreise in Afrika machte er seine ersten Aufnahmen mit der Leica seiner Frau – und fing Feuer. Er kündigte, zog zurück nach Paris und begann, als Fotograf zu arbeiten, unter anderem für die renommierten Agenturen Sygma, Gamma und Magnum.
Nach Jahren an den unwirtlichsten Orten der Welt, an Kriegsschauplätzen und in Flüchtlingslagern, konnte Salgado nicht mehr. Er ging zurück nach Brasilien auf die Farm seiner Eltern. Der Boden war von intensiver Landwirtschaft ausgezehrt, doch er forstete sein Erbe wieder auf. „Mit der Rückkehr der Natur, der Bäume, der Tiere und des Wassers habe ich zurück ins Leben gefunden.“
Neben seinen sozialfotografischen Werken wie „Arbeiter“, „Migranten“ und „Afrika“ widmete sich Salgado zuletzt verstärkt der Naturfotografie. Mit seinem einzigartigen Gefühl für fotografische Dramatik sind ihm für „Genesis“ imposante Landschaftsaufnahmen und intensive Tierbilder gelungen. Da marschieren Elefanten unter dräuenden Wolken durch die afrikanische Savanne, ein majestätischer Löwe mit zerzauster Mähne präsentiert sein Profil, Seehunde brüllen mit aufgerissenen Mäulern den Betrachter an.
Doch Salgado sorgt sich um die Schönheit und den Fortbestand unseres Planeten. „Wir haben uns in urbane Tiere entwickelt mit einem brutalen Konsum“, warnte er jüngst. „Die Erde kann uns gar nicht alles geben, was wir konsumieren. Wir erleben eine Katastrophe, die zum Ende der menschlichen Spezies führen könnte.“ Sebastião Salgados Fotografien tragen dazu bei, es nicht bis dahin kommen zu lassen. (dpa, sd)
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