Friedlicher Ausnahmezustand beim Wacken Open Air
Wacken (dpa) - Opa Willi bläst in seine Posaune. "So ein Tag, so wunderschön wie heute", begrüßt er die Freunde der harten Klänge und scheppernden Akkorde.
Er blickt dabei auf den Raiffeisenturm an der Wackener Dorfstraße. Jedes Jahr Ende Juli ist das Gebäude mit vier schwarzen Fahnen verhüllt, auf denen ein weißer Stierschädel prangt, das Symbol des Wacken Open Air (W:O:A). "Ich mag die Musik, aber mein Stil is das nich so", meint der 89-Jährige, während die Heavy-Metal- Freunde mit Bollerwagen und Rucksäcken an ihm vorbeiziehen. "Ich steh' mehr auf Schlager." Schwarzgekleidete Fans brüllen ihm "Waaaacken" zu, Zeige- und kleinen Finger zum Szene-Gruß ausgestreckt.
Neben sich hat der Rentner liebevoll selbstgemachte Marmelade und Säfte aus Himbeeren und Brombeeren aufgereiht. "Das macht 'ne Menge Arbeit, das ist alles aus der Natur." Opa Willi verkauft seit sieben Jahren am Eingang zum W:O:A seine Naturprodukte ("Damit die jungen Leute auch mal was Gesundes bekommen"). Für ihn und die Dorfbewohner ist der alljährliche Einfall von zehntausenden "Metalheads" das beste Konjunkturprogramm in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Rund 75 000 Besucher strömen in diesen Tagen in den 1800- Einwohner-Ort in Schleswig-Holstein. Von Donnerstag bis Samstag stehen dort 90 Bands, unter anderem Doro, Saxon und Motörhead, auf der Bühne. Die US-Band Anthrax hat ihren Auftritt kurzfristig abgesagt. Für ein Paar aus Schleswig- Holstein wird das Spektakel wohl unvergesslich, die fanatischen Wacken-Fans wollen auf einer Nebenbühne heiraten. "Die beiden haben eine ganz besondere Bindung zum Festival, jetzt lassen sie sich hier vom Pastor trauen", sagt W:O:A-Sprecherin Britta Kock. Für die Macher ist das aber keine Premiere: Bereits vor einigen Jahren hatte sich ein Paar auf dem Open-Air das Ja-Wort gegeben.
Nach alter Tradition wird auch die 20. Auflage des Spektakels bereits am Mittwoch inoffiziell von der Wackener Feuerwehrkapelle, den Wacken Fire Fighters, eröffnet. Volker Vette, Chef der Fire Fighters, ist kurz vor dem Auftritt die Ruhe selbst. Er sitzt bei einem Bierchen im Landgasthof "Zur Post" an der Hauptstraße. Über ihm, an der Wirtshaus-Fassade heißt es auf einem Transparent: "Freu dich, Du bist in Wacken". "Alles roger", sagt Vette. Einem langhaarigen Metal-Fan mit freiem Oberkörper rät der 69-Jährige, sich unbedingt die neue Platte der 1900 gegründeten Feuerwehrkapelle zu kaufen. Der Titel: "In the Biergarten."
Was 1990 aus einer Bierlaune heraus als Open-Air-Konzert auf einer Kuhweide begann, hat sich mit der Zeit zum weltgrößten Heavy Metal- Festival entwickelt. "Im ersten Jahr kamen 800 Gäste, ich spielte mit meiner Band und zapfte nebenbei Bier", erzählt Thomas Jensen, der gemeinsam mit seinem Kumpel Holger Hübner das W:O:A gründete und auch heute noch organisiert. Es sei weitaus krisensicherer als die restliche Musikbranche: "Das hier ist für viele Besucher eine gute Ablenkung, hier können sie mal ordentlich Dampf ablassen", sagt er, während er mit seinem Wagen über das Gelände fährt, das die Größe von etwa 270 Fußballfeldern hat. Aus den Boxen im Auto dröhnt laute Musik. "Auf nach Waaacken", brüllt Tom Angelripper, ein Lied das die Metal-Größe eigens für das W:O:A getextet hat.
Stoisch gelassen und mit einem fröhlichen Moin, begrüßen die Wackener wenige hundert Meter entfernt die Fans der lauten Musik. "Das sind ganz freundliche Leute, die helfen mir mit meinem Rollator immer über die Straße", sagt Elfriede Bolls (73), die vor der Backstube Sievers sitzt. "Ich persönlich mag ja diese Doro, das ist doch die mit den blonden Haaren, das hör' ich mir an." Und wenn ihr die Musik zu laut wird? "Och, dann mach' ich das Fenster zu."
Auf den Bürgersteigen bringt unterdessen der Dorfnachwuchs auf Kettcars und Anhängern Bierkisten und Zelte zum Gelände. Für einen Transport von der Bäckerei bis zum Campingplatz kassieren die Kinder fünf Euro. "Die Preise sind stabil, das kostet das gleiche wie letztes Jahr", sagt die kleine Sandra. Andere Wackener verdienen im großen Stil. So betreibt Gastronom Torsten Arp zur Festivalzeit zwei Biergärten mit insgesamt 6000 Plätzen.
Das Erfolgsgeheimnis des Festivals ist, dass das ganze Dorf mitmacht und das Festival als willkommene Abwechselung liebt. Mit hunderten Helfern organisiert zum Beispiel Bauer Uwe Trede nach dem Spektakel das Mülleinsammeln, und viele Landwirte vermieten bereitwillig ihre Weiden für das W:O:A.
Im Gegenzug fördern die Veranstalter die Kommune. Der Kindergarten wird subventioniert, das Freibad hätte wohl längst dicht gemacht, würde es nicht den Ansturm tausender "Metalheads" geben und mit 7000=Euro im Jahr unterstützt. Seit vergangenem Sommer investierten die Organisatoren 600 000 Euro in das Festival-Gelände, indem sie Abwasseranlagen bauten oder die Stromversorgung verbesserten. Dabei wollen sie behutsam vorgehen, ohne die Weiden zu beschädigen. "Denn die Landwirtschaft macht ja auch den Charme des Festivals aus", sagtJensen. Noch größer soll das Ganze nicht werden. "Sonst geht irgendwann das besondere Gefühl hier verloren."
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