„In die Klapse geweht“
Die junge Star-Autorin Ronja von Rönne hat ihren psychischen Zusammenbruch öffentlich gemacht. Warum? Einblicke in die neue Medienwelt und ihre Helden
Der neueste Eintrag ins „sudelheft“ führt gleich mit den ersten Sätzen in den Abgrund: „Und dann ging nichts mehr. Depression, ausgebrannt, weitermachen, Zweifel, wegfeiern, Selbsthass, alles hat sich verbündet und mich vor ein paar Tagen in die Klapse geweht.“ Jetzt kann man zwar durchaus fragen: Wen geht das etwas an? Und warum steht das jetzt hier? Aber gerade um die Öffentlichkeit des Privatesten geht es ja.
Jenes „sudelheft“ nämlich ist im Online-Netzwerk Instagram der Name eines Bloggs, das die Berlinerin Ronja von Rönne 2012, im Jahr nach ihrem Abitur, begonnen hat und das sie zwischenzeitlich zu einem der Stars der neuen Medienwelt gemacht hat. Heute, gerade 27 geworden, ist sie Roman-Autorin, Kolumnistin bei der Wochenzeitung Die Zeit, Fernsehmoderatorin... – mediales It-Girl. Sie schickt die Nachricht ihres Zusammenbruchs direkt an über 34000 Menschen, die sie nicht kennt, die ihr aber eben auf Instagram folgen, bevor von da aus die Nachricht weiter im Netz geteilt wird: Ronja von Rönne in der Psychiatrie.
Aber diese junge Frau, die zuletzt ein Bild von ihrer zweiten Heimat aus Grassau am Chiemsee gepostet und dann doch wieder gelöscht hatte, ist klug genug, um zu wissen, was sie tut. Darum schreibt sie auch noch: „Ich habe mir überlegt, ob ich das hier teile, aber warum denn eigentlich nicht... Ich weiß, dass es einigen exhibitionistisch erscheinen mag, so Privates zu teilen, aber ich hoffe sehr, durch all das auch anderen den Mut zu geben, sich Hilfe zu suchen. Am besten, bevor nichts mehr geht. Am besten, bevor die Alternativen ausgehen...“ Und Hunderte haben das sofort mit ermutigenden Kommentaren erwidert.
Was passiert da? Das Konkrete ist im Grunde schnell erzählt und im Künstlerleben ja traditionell nicht untypisch. Ronja von Rönne hat die letzten Monate über immer wieder von ihrer Schreibblockade berichtet. Nach dem Erfolg mit ihrem Romandebüt „Wir kommen“ 2016 musste es doch langsam mal einen Nachfolger geben...
Aber Lesereisen mit Kolumnentexten, dazu angefragte Beiträge zu aktuellen Debatten über Frausein, Jungsein, Online-Sein – wenn das äußere Bild medial so überlebensgroß projiziert wird, wachsen bei reflektierenden Menschen unweigerlich Selbstzweifel. Im Dezember, offenkundig bereits im Loch, nahm sich Ronja von Rönne darum im „sudelheft“ vor: „Motto fürs neue Jahr: passt schon so. Oder zumindest: Es liegt nicht alles, was nicht klappt, daran, dass man ein ungenügendes Exemplar Mensch ist. Hauptsache: dennoch.“ Und dann hängt sie noch kokett an: „(Foto: Ich beim Denken [nicht im Bild])“.
Eben diese Mischung führt auf die Spur des Allgemeinen. Denn es ist in Fällen wie dem von Ronja von Rönne in der neuen Medienwelt ja nicht so, dass hier ein künstlerisches Ausnahmetalent durch ihr Werk zum Star geworden wäre – und dann mit ihrem Privatleben zum öffentlichen Thema. In der digitalisierten Moderne der Populärkultur fällt das meist zusammen. Das Produkt von Ronja von Rönne ist das pointiert betrachtete Selbst, ist „Ronja von Rönne“. Das begann im Blogg, setzte sich auch fort in den klassischen Medien, die ohnehin von der Webwelt herausgefordert auf der Suche nach Anschluss an den Zeitgeist sind und zumal auch nach weiblichen Stimmen suchen.
Und so war die Berlinerin bereits beim Engagement für die Zeitung Die Welt ein Postergirl: Ihre Artikel erzählten stets wesentlich auch über die Autorin selbst, sie waren verfasst als Ich-Erzählung, begleitet mitunter von Fotostrecken. Und sie lieferte – inzwischen mit Dutt, Bubi-Kragen und vollen, leuchtend rot geschminkten Lippen als Vorstufe zur Ikone – forsch weiter. Rechnete auch mal gewitzt und wuchtig mit dem ganzen Feminismus ab. Bekam dann aber mit der Bedeutung dieser anderen, klassischen Medien-Bühne auch die Rechnung im Allgemeinen präsentiert. Shitstorms einerseits, klar, aber eben auch Mahnungen, dass die großen gesellschaftlichen Themen vielleicht ein anderes Debattenformat benötigen als pointierte Selbstbespiegelungen im Blogger-Schnodder.
Da passte es eher, dass sich Ronja von Rönne der Literatur zuwandte. Ihr Debüt: Das Tagebuch der seelischen Entgleisung einer melancholischen jungen Frau. Aber auch hier schien nicht nur manchem Kritiker, sondern auch der Autorin selbst etwas in Anspruch und Bedeutung auseinanderzuklaffen. Ihre Stimmungserzählungen: ein Roman, somit Literatur?
Das fand sie irgendwie selbst nicht. Die aufgeregte Maximalvergrößerung eines Online-Phänomens bis in klassische Formate hinein, dazu die Stilisierung und auch Ausbeutung und Aushöhlung des Ich im Selfie-Zeitalter: Inmitten dieser Phänomene ist sich hier wohl eine Autorin verloren gegangen.
Und nun? Von Rönne schreibt in jenem bislang letzten Eintrag im „sudelheft“: „Vielleicht werde ich in den Storys ein bisschen berichten, vielleicht konzentriere ich mich aber in den nächsten Wochen nur auf mich.“ Man mag ihr wünschen, nichts mehr zu lesen, bevor es ihr nicht wirklich besser geht. Das Zusichfinden wie das Schreiben muss immer zuerst Selbstzweck sein, um zu Sinn und Kunst zu führen. Alles Gute, Ronja von Rönne.
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