Interview: Geist, das ist die ewige Ordnung
Der Philosoph Gerhard Hofweber beschreibt den Weg zu Wahrheit und Liebe in seinem Manifest – und erklärt die heutigen Krisen aus dem Zeitgeist.
Leben wir heute in einer geistlosen Zeit?
Hofweber: Oberflächlich betrachtet ja, weil: Der Zugang zum Geist ist verloren gegangen. Aber substanziell betrachtet nein, weil: Der Geist kann nicht verschwinden, er ist als Substanz immer vorhanden.
Warum ist der Zugang dazu heute nicht mehr da? Ist der Zeitgeist der Feind des Geistes?
Hofweber: Ja, das kann man so sagen. Der Verlust des Bezugs zur Objektivität der Wahrheit, der Verlust zur Tiefendimension der Wirklichkeit, der Verlust der metaphysischen Dimension – all das sind Zeichen unseres Zeitgeistes, und diese sind für den Erkenntnisprozess kontraproduktiv.
Und warum ist unsere Zeit so?
Hofweber: Die Entwicklung hat vor knapp 200 Jahren mit dem zunehmenden Nicht-mehr-Begreifen der metaphysischen Dimension der Wirklichkeit begonnen. Darunter fällt auch die Krise der Religion, die Krise der Philosophie, die sich seitdem hauptsächlich mit der Nicht-Erkennbarkeit der Wirklichkeit beschäftigt und versucht, mit einem Restbegriff von Philosophie oberflächliche Phänomene klug zu kombinieren.
Aber woran zeigt sich das in der Lebenswirklichkeit?
Hofweber: In der Beziehungslosigkeit zu den tiefen Themen. In einem Verlust von Nachdenklichkeit. Stattdessen findet nur noch beschleunigte Informationsverarbeitung statt, die nur an der Oberfläche bleibt, also zweidimensionales statt dreidimensionales Denken. Aber es zeigt sich auch an dem Verlust der Lebensfreude. Wir Leben in einer Gesellschaft, in der Depression zur Volkskrankheit geworden ist. Aber davor steht noch, dass dieses Leben als etwas aufgefasst wird, das überstanden werden muss, weniger als eine Feier und als Grund zur Freude. Und das ist die logische Folge des Verlustes der metaphysischen Dimension. Wenn ich den wahren Selbstwert nicht erkenne, wenn ich die Würde der eigenen Person nicht erlebe, dann wird das Leben halt anstrengend und schwer.
Sehen Sie darin auch die Wurzeln für ökologische, politische und wirtschaftliche Krisen?
Hofweber: Ja, sie sind ein Abbild. Wenn die metaphysische Krise individuell den Verlust der Lebensfreude zur Folge hat, so äußert sie sich im Gesellschaftlichen im immer härter werdenden Verteilungskampf. Denn wenn es keine Besinnung auf das Substanzielle, kein Genug mehr gibt, treibt alles ins Streben nach Maximierung. Diese gesellschaftliche Tendenz gibt wiederum genau den Leuten Rückenwind, die diese Maximierung prägen. So werden in der Regel narzisstisch gestörte Persönlichkeiten an die Spitze gespült, die ihre Interessen gnadenlos durchsetzen. Und so setzt sich auch ein Wirtschaften durch, das gegen die innere natürliche Ordnung verstößt. Denn in der Natur gibt es so etwas wie die Maximierung des Wachstums nicht. So führt dieses grenzenlose Agieren unweigerlich zu Störungen, persönlichen wie gesellschaftlichen.
Aber wann war die Welt denn besser?
Hofweber: Gesellschaften entwickeln sich in Wellenbewegungen mit Gipfeln und Tälern. Aber insgesamt streben sie dabei nach oben. Das heißt: Wir leben, trotzdem wir heute in einer Krisenzeit leben, in einer besseren Zeit als früher. Das ist an vielem zu sehen, etwa am Fortschritt der medizinischen Versorgung. Das Drama aber ist, dass die Menschen trotz des hohen Lebensstandards ihrer selbst und ihres Lebens nicht froh sind. Es erscheint absurd, denn man meint ja, erst müsste das Überleben gesichert werden und dann könnte man sich höheren Zielen widmen – aber wir sind ja längst über den Überlebenskampf hinaus, aber die Leute haben die höheren Ziele offenbar vergessen. Da hat die Krise auch die Funktion des Wachrüttelns, im Individuellen wie im Gesellschaftlichen. Wenn sie da ist, können wir wieder lernen, den Wert des Lebens zu sehen. Aber solange sie noch nur schwelt, wächst die Unzufriedenheit, obwohl wir ja allen Grund hätten, uns zu freuen.
Von der Oberfläche in die Tiefe: Woher kommt die geistige Ordnung, die alles durchzieht?
Hofweber: Die kommt nicht von irgendwoher, das ist die ewig bestehende Ordnung. Sie ist die Substanz, das Zentrum des Kosmos. Die Wahrheit. Gott. Gott ist nicht entstanden, Gott ist das Ewig-Seiende, der Geist, der alles durchzieht. Das griechische „Kosmos“ bedeutet sowohl Weltall als auch Ordnung – und das ist eben die große Idee der Philosophie: dass das Weltall insgesamt einer Ordnung unterliegt und dass sich diese in allem ausdrückt, also etwa im Ökosystem und im einzelnen Organismus, im Gehirn. Natürlich kann es bei so komplexen Systemen Störungen geben – aber damit alles grundlegend funktioniert, muss es diese Ordnung geben. Sie ist überall sichtbar. Aber wenn ich den Bezug zu dieser Ordnung verliere, weil ich diese subjektivistische Konstruktion des Lebens gegenübersetze, dann begreife ich sie eben auch nicht mehr.
Wenn diese Ordnung alles durchzieht: Was befähigt den Menschen, sich von ihr zu entfernen?
Hofweber: Das ist die Ambivalenz, die im Menschen anders etwa als im durch und durch von seinen Instinkten geleiteten Tier liegt: Es ist die Freiheit, die das möglich macht. Aus ihr heraus kann er allein sich gegen diese Ordnung entscheiden, wie er sich ja auch gegen das Leben und für den Suizid entscheiden kann. Der Mensch braucht die Freiheit aber auch, um sich für ein Leben gemäß der Ordnung entscheiden zu können, im geistigen, moralischen und auch ästhetischen Sinne. Ich möchte ein Leben gemäß der metaphysischen Ordnung leben, heißt: Ich möchte ein Leben in Liebe und Wahrheit leben. Das muss eigens entschieden werden. Dann geht’s aber auch.
Woran merkt man dann, dass man in Einklang mit der Ordnung lebt?
Hofweber: Daran, dass man dann glücklich ist. Und zwar auf eine unspektakuläre, aber zutiefst befriedigende Art und Weise. Man wird sich bewusst, dass man dem Sinn der eigenen Existenz gemäß lebt. Das heißt nicht, dass das Leben dann immer leicht ist. Denn dieser Entschluss kann auch verbunden sein mit Entscheidungen, sein Leben, seinen Beruf, seine Beziehungen zu ändern. Und die Konsequenzen daraus können auch mit äußeren Härten verbunden sein, persönlichen Verletzungen oder finanziellen Einbußen. Aber es ändert nichts daran, dass ich dann auf den inneren Ruf meines wahren Selbst höre und mich davon leiten lasse.
Sie beschreiben die Wahrheit sehr explizit mit Worten der christlichen Religion. Warum?
Hofweber: Das liegt am gedanklichen Inhalt, der darin zum Ausdruck kommt. Das christliche Verständnis von diesen Zusammenhängen – von Gott, von Menschen und dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch – kommt der Sache am nächsten. Gottvater ist die Wahrheit, Gottsohn die Liebe und der Heilige Geist die Erkenntnis von beidem als dasselbe – das entspricht genau der philosophischen Idee des inneren metaphysischen Kerns. Wahrheit und Liebe: Das sind die beiden Seiten der Vernunft – der theoretischen, die auf die Wahrheit bezogen ist, und der praktischen, die aufs gute Handeln bezogen ist, dessen höchste Form ist das Handeln aus Liebe. Die objektive Ordnung der menschlichen Struktur kommt in dieser Religion zum Ausdruck. Was aber nicht für die Amtskirche sprechen soll. Denn was die aus der Schönheit dieser Idee gemacht hat, ist nicht zu entschuldigen. Da gibt es wirklich nur eines: Auflösung der gesamten Institution.
Könnte aber sein, dass dieses Religiöse nicht-gläubige Menschen eher stört …
Hofweber: Ja, davon kann man wohl ausgehen. Aber dieses Denken ist ja auch nicht gemäß dem Zeitgeist, sondern gegen ihn gerichtet. Weil die Wahrheit heute gegen den Zeitgeist steht. Und wieso sollte man nicht aussprechen, was der Wahrheit entspricht? Wegen Empfindlichkeiten, die ja nur dadurch welche sind, dass man den Bezug genau zur Wahrheit verloren hat? Die Wahrheit muss um der Wahrheit willen auch ausgesprochen werden.
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