Filme vom Überleben
Das Programm der Berlinale 2019 steht. Welche der 17 Produktionen werden in Dieter Kosslicks letztem Festival mit dem Goldenen und dem Silbernen Bären ausgezeichnet?
Er ist in den vergangenen 18 Jahren zum Gesicht der Berlinale geworden: Dieter Kosslick – als gute Laune mit rotem Schal. Das letzte Berlinale-Programm unter seiner Direktion stellte er gestern in Berlin unter das Motto „Das Private ist politisch“, also unter den bekannten Appell der 68er-Generation.
Allerdings prägt die Beiträge der 69. Berlinale kein gesamtgesellschaftlich revolutionärer Elan mehr. Sie handeln vielmehr vom Leben und Überleben in einer komplexen Gesellschaft, vom Wandel der Familienstrukturen und der Ausbeutung von Kindern. Im Eröffnungsfilm der dänischen Regisseurin Lone Scherfig („Italienisch für Anfänger“) am Donnerstag kommender Woche sind es unterschiedliche Protagonisten, die auf ihre Art versuchen, den New Yorker Winter zu bewältigen.
Im Wettbewerb der 69. Berlinale werden bis 17. Februar 23 Filme gezeigt, von denen 17 um den Goldenen und die Silbernen Bären konkurrieren. 25 Länder sind an den Produktionen und Koproduktionen beteiligt – von China bis zu den USA. 20 Filme feiern ihre Weltpremiere, darunter zwei Debüts. Bei der Gala-Abschlussveranstaltung am 16. Februar werden die Preise dann vergeben. Der letzte Tag ist wieder komplett dem Publikum gewidmet – was die Berlinale im Unterschied zu Cannes oder Venedig auszeichnet.
Die Festspielleitung erwartet zahlreiche Prominente zur Berlinale, angefangen bei der Jury, der die französische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche vorsitzt. Sie kennt sich selbst mit Preisen aus: Als erste europäische Schauspielerin wurde sie sowohl in Berlin als auch in Venedig und Cannes geehrt. Zu den Juroren gehört auch die starke deutsche Schauspielerin Sandra Hüller.
Deutschland geht mit drei Filmen ins Rennen: Nora Fingscheidt zeigt ihr Spielfilmdebüt „Systemsprenger“ über die neunjährige Benni (Helena Zengel), die in immer neue Pflegefamilien gesteckt und so für die Mutter und das Jugendamt zu einer Herausforderung wird. In der deutsch-serbischen Koproduktion von Angela Schanelec geht es in dem Familiendrama „Ich war zuhause, aber“ ebenfalls um ein Kind – einen 13-jährigen Jungen, der für eine Woche verschwindet. Fatih Akin tritt mit dem Horror-Thriller „Der Goldene Handschuh“ nach einem Roman von Heinz Strunk an. Titelgebend ist der Name einer Kneipe, in der der Hamburger Frauenmörder Fritz Honka (Jonas Dassler) seine Opfer kennenlernt.
Aus Österreich nimmt die Regisseurin Marie Kreutzer mit „Der Boden unter den Füßen“ teil: Die Unternehmensberaterin Lola hat ihre Arbeit ebenso fest im Griff wie ihr Privatleben – bis ihre psychisch kranke Schwester Conny alles ins Wanken bringt.
Mit Spannung erwartet werden zwei Dokumentarfilme in der Sektion Berlinale Special: Die Regisseurin Cordula Kablitz-Post begleitete die Toten Hosen auf ihrer „Laune der Natour“-Tournee – ein Porträt der Band unter dem Titel „Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour“. Und einen persönlichen Einblick in sein Leben und sein Schaffen gewährt der Starfotograf Peter Lindbergh dem Dokumentaristen Jean Michel Vecchiet.
In den Bereich „Das Private ist politisch“ gehört auch der Beitrag des französischen Regisseurs Francois Ozon. In „Grace a Dieu“ zeichnet er anhand mehrerer Schicksale die dramatischen Folgen des Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche nach.
Schließlich befassen sich mehrere Beiträge sehr direkt mit der Politik: Etwa der US-Regisseur Adam McKay in seiner Politsatire „Vice – der zweite Mann“ über den ehemaligen US-Vizepräsident Dick Cheney. Ein chinesischer Beitrag geht den Folgen der landeseigenen Ein-Kind-Politik nach und ein brasilianischer Film dem Aufstieg des Rechtspopulismus im Land.
Der ökumenischen Jury steht in diesem Jahr die deutsche Medienwissenschaftlerin Anna Grebe vor. Diese Jury ehrt Filme, die für menschliche und soziale Werte sensibilisieren sollen. (kna)
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