Mario Adorf, der Patriarch
Regisseur Helmut Dietl holte alles aus ihm heraus. Im Film "Kir Royal" zeigte Mario Adorf seine ganze Schauspielkunst. Heute wird er 80 Jahre alt. Von Alois Knoller
Regisseur Helmut Dietl holte alles aus ihm heraus. Im Film "Kir Royal" zeigte Mario Adorf seine ganze Schauspielkunst. Heinrich Haffenloher, den Klebstoff-Fabrikanten, verkörperte er mit imposanter Präsenz. Im Gedächtnis der Nation blieb seine protzige Drohung: "Ich scheiß dich zu mit meinem Geld!" Wieder einmal war er das Monster - eine Rolle, die dem massigen Mann mit den glutvollen Augen, der sonoren Stimme, dem vollen weißen Haar und dem sorgsam gestutzten Bart auf den Leib geschrieben ist.
Heute wird Mario Adorf 80 Jahre alt. "Der letzte Patriarch" heißt sinnigerweise das Geburtstagsgeschenk der ARD, die den Fernseh-Zweiteiler am 10. September (20.15 Uhr) im Ganzen ausstrahlt. Adorf spielt darin einen Lübecker Marzipanfabrikanten, der in seiner Firma schaltet und waltet, gerade wie es ihm gefällt, und seine eigene problematische Nachfolgeregelung korrigieren muss. Adorf selbst beschreibt diesen Charakter als einen "charmanten Kotzbrocken", der freilich aus seinen Fehlern auch lernen kann.
Er mag solche kraftvollen Typen, die ihren Kopf durchsetzen, dabei jedoch sehr menschlich bleiben, weil sie auch ihre Macken haben. Von seiner Mutter konnte er lernen, wie man allen Widrigkeiten des Schicksals trotzt. Ihren unehelichen Sohn - Marios Vater, ein Arzt aus Kalabrien, war bereits verheiratet - zog sie alleine in Mayen in der Eifel auf, leistete harte Arbeit als Schneiderin und musste doch Entbehrungen, Hunger und Armut erleiden. In dem Buch "Mit einer Nadel bloß" hat Mario Adorf dieser willensstarken Frau 2005 ein Denkmal gesetzt.
Immerhin ermöglichte sie ihrem Sohn, dass er ab 1950 in Mainz und in Zürich quer durch die Wissensgebiete studieren konnte. An der Münchner Falckenberg-Schule und in den Kammerspielen machte er seine ersten Schritte in der Schauspielerei - kleine Rollen: Soldat bei Fritz Kortner, junger Neger bei August Everding, stummer Redner bei Hans Schweikart.
Dann fiel der 26-jährige Nachwuchsschauspieler dem Filmregisseur Robert Siodmak auf. Die Rolle des Massenmörders Bruno Lüdke in "Nachts, wenn der Teufel kam" wurde 1957 sein Durchbruch. Das erschreckende Porträt eines so naiven wie mörderischen jungen Mannes in der Zeit des Nationalsozialismus geriet zu seiner ersten großen künstlerischen Leistung. Er bekam dafür das Filmband in Gold. Schlag auf Schlag wurden ihm nun interessante Rollen angeboten. 1958 war er der freche Bänkelsänger in Rolf Thieles Wirtschaftswunder-Satire "Das Mädchen Rosemarie". 1959 gab er in Georg Tresslers Verfilmung von B. Travens Roman "Das Totenschiff" den Matrosen Lawski mit einer ungeheuer starken physischen Präsenz. Vielleicht kam ihm dabei zugute, dass er in seiner Mainzer Studentenzeit Boxer war.
Nach Banditen und Mafiosi kam die honorige Alterskarriere
Der Bösewicht wurde seine Standardrolle. Mario Adorf war zum Fürchten. Als schurkischer Santer in "Winnetou" (1963) brachte er Ntschotschi um. Er spielte reihenweise Ganoven, Banditen und Mafiosi - Letztere so glaubwürdig, dass er als echter Italiener durchging. Als einer der wenigen deutschen Schauspieler fasste er international Fuß. Er war ein Star, schon bevor ihn Volker Schlöndorff für "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1978) und als Vater Matzerath in "Die Blechtrommel" (1979) gewann - ein kleiner Nazi, überfordert von dem furchtbaren Kind Oskar und gehörnt von der untreuen Ehefrau, aber doch ein Mann von Charakter.
Mitte der 80er Jahre wandelte sich sein Filmimage, Adorf wurde zur Idealbesetzung für schlitzohrige Patriarchen aller Art. Eine glänzende Alterskarriere begann vor allem in Dieter Wedels Mehrteilern "Der große Bellheim" (1992) und "Der Schattenmann" (1996). Zudem entdeckte er seine Liebe zum Erzählen, seien es Episoden aus seiner Kindheit in der Eifel oder Begegnungen mit prominenten Kollegen wie Romy Schneider und Klaus Kinski ("Der Mäusetöter"). Wahre und erfundene Geschichten gibt er gleichermaßen gern zum Besten.
Alle erdenklichen Ehrungen hat Mario Adorf erhalten: Den Deutschen Filmpreis fürs Lebenswerk, Grimme-Preis, Großes Bundesverdienstkreuz, Bayerischer Verdienstorden, Goldene Kamera, Bambi. Im August gab zudem die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz bekannt, ihren ehemaligen Studenten Adorf zum Ehrendoktor zu ernennen. Er habe als europäischer Schauspieler dazu beigetragen, "dass wir Menschen etwas besser verstehen".
In Europa ist er wahrlich zuhause. Mario Adorf spricht fließend Italienisch, Französisch und Englisch. Er lebte in Rom und Saint-Tropez. Im Oktober wird er auf einem Kreuzfahrtschiff drehen, im Frühling mit Veronica Ferres an einer ernsthaften politischen Geschichte in Wien arbeiten und soeben ist der FC St. Pauli-Film "Gegengerade" fertig geworden. Nach über 120 Filmen fehlt ihm noch eine Rolle: Gern würde er Karl Marx verkörpern. Alois Knoller
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