„tschick“: Hunger nach Leben
Der schwerkranke Autor Wolfgang Herrndorf schreibt in „tschick“ funkelnd über das Erwachsenwerden.
Als Erstes ist da dieses das Buch, das keine Geschwindigkeitsbegrenzung kennt. „tschick“ heißt es und erzählt in jugendlicher, aber sich nicht anbiedernder Sprache von zwei pubertierenden Außenseitern, die den Sommer ihres Lebens damit verbringen, in einem gestohlenen schrottreifen Auto kreuz und quer durch Deutschland zu fahren. Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow, der Einfachheit halber Tschick genannt, heißen die beiden, im wahren Sinne des Wortes planlosen Helden, die Autor Wolfgang Herrndorf zum Leben erweckt hat.
Zu pulsierendem Leben erweckt – während er, der Autor, jeden Tag daran denken musste, selbst möglicherweise bald zu sterben. Denn das ist die zweite Geschichte, die es zu diesem Buch zu erzählen gibt. Darüber zu schreiben verbietet normalerweise der Respekt vor dem Privaten. Aber Wolfgang Herrndorf, (Jahrgang 1965), der Malerei studiert hat und für die „Titanic“ zeichnete, hat seine Krankenakte öffentlich gemacht. In einem Blog (www.wolfgang-herrndorf.de), das mindestens so lesenswert ist wie sein Roman, lässt er alle Welt an seinen Gedanken teilhaben, die seit der Entdeckung eines bösartigen Hirntumors zwischen der Hoffnung auf ein Wunder und finaler Abrechnung schwanken. Notizen über die Arbeit an „tschick“ und Zweifel am Gelingen des Werks stehen dort gleichberechtigt neben Bemerkungen über seinen psychischen Zustand und Berichten über seine neuesten medizinischen Erkenntnisse.
So ist unter dem Datum 28. März zu lesen: „21:44 Uhr. Die letzten Tage den Jugendroman gesichtet und umgebaut, Übersicht erstellt, einzelne Kapitel überarbeitet, neue entworfen. Jetzt von Anfang an: jeden Tag mindestens ein Kapitel. In spätestens 52 Tagen ist es fertig. Heute: Kapitel 1.“ Und kurz darauf ergänzt Herrndorf: „22:30 Uhr. Je länger man googelt, desto sicherer sinkt die Wahrscheinlichkeit, ein Jahr zu überleben, unter 50 Prozent. Immer noch ohne Schlafmittel.“
Umso erstaunlicher erscheint es, dass er den Roman, den er vor Jahren begonnen hatte, dann in so kurzer Zeit fertigstellte. Und tatsächlich sind alle Zweifel, von denen Herrndorf in seinem Blog berichtet, unbegründet. „tschick“ ist mitnichten „stilistisch fragwürdige Pennälerprosa mit Allerweltseinfällen“ (Herrndorf). Maik und Tschick sind so plastisch gezeichnet, dass man der Geschichte gierig folgt, trotz der Volten, die sie mitunter schlägt. „tschick“ ist ein Roadmovie, ein Buch über das Erwachsenwerden, eine Liebeserklärung an die Jugend, aber vor allem: viel zu schnell zu Ende. Was bleibt, ist die Hoffnung, noch mehr von Herrndorf zu lesen. Ein neues Buch ist in Arbeit, schreibt er im Blog. Als bisher letzter Eintrag, mit Datum vom 3. November, steht dort aber auch: „Bekomme jeden Tag Briefe und Karten, die ich nicht mehr beantworten kann. Grüße an dieser Stelle.“
Wolfgang Herrndorf: tschick. Rowohlt Verlag Berlin, 256 S., 16,95.
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