Kein Platz für einen Gefühlsmenschen
Andrea Breth inszeniert Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ bei den Salzburger Festspielen.
Salzburg Des Widerspenstigen Zähmung endet tödlich. Mit dem ersehnten Lorbeerkranz auf dem Kopf, die geliebte Natalie an seiner Seite, stirbt der vitale Prinz von Homburg. Er erlischt. Er geht. Und kein Kanonendonner holt ihn zurück. Im starren System von Herrschaft, Staatsräson und Gehorsam ist für eine freie Radikale wie ihn, ist für einen Gefühlsmenschen, einen impulsiven Träumer, eben doch kein Platz. Eine Blume, die einmal ausgerissen worden ist, blüht nicht mehr auf, sondern welkt. Der Schwärmer, dem man Fesseln anlegt, kann die Augen nicht mehr öffnen.
Das versöhnliche, das herbeitaktierte Ende verweigert
Andrea Breth verweigert in ihrer konzentrierten, präzisen, weithin puristischen Salzburger Inszenierung des Dramas „Prinz Friedrich von Homburg“ das versöhnliche, das herbeitaktierte Ende. Wo Heinrich von Kleist den von Todesangst und Eigensinn geläuterten Prinzen unter „Heil“-Rufen an der Seite des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg wieder frohgemut in die nächsten großen Schlachten ziehen lässt, sät sie Zweifel und erstickt Hurrageschrei in Stille und Erstarrung.
Wir sehen das Gerippe eines zerstörten, dunklen Waldes, wo Nebel um Stümpfe und Stämme wabern. „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs.“ Hat der berühmte Schlusssatz des Dramas je gebrochener, resignierter, ratloser geklungen als in dieser Salzburger Festspielpremiere, in der Peter Simonischek die Worte mehr flüstert als befiehlt?
Das Premierenpublikum im Salzburger Landestheater erlebt zweieinhalb pausenlose Sternstunden großer Schauspielkunst. Breths zurückhaltende, dienende Regie bremst Kleist im Tempo immer wieder aus, schafft durch Innehalten und retardierende Momente Räume, in denen sich das starke Ensemble (herausragend Peter Simonischek, August Diehl, Hans-Michael Rehberg und Udo Samel) und Kleists Sprache entfalten können. Höchst sparsam, aber wirkungsvoll dosiert, gibt es dabei auch komische Momente. Etwa wenn der liebestrunkene Prinz von Homburg, gebannt auf Natalie starrend, vom soeben ausgeheckten Schlachtplan nichts mitbekommt außer dem von ihm wie ein Mantra wiederholten „Fanfaren blasen lassen“.
Die Schauspieler tragen schwarze lange Mäntel und spielen auf karger Bühne (eingerichtet von Martin Zehetgruber), die grell weiß ausgeleuchtet ist wie ein Labor. Und eine Art Versuchsanordnung ist Kleists Kriegsdrama ja: Was geschieht, wenn Herz und Verstand, Gesetz und Gefühl, Kollektiv und Individuum im Widerstreit liegen?
August Diehl als träumerischer Prinz von Homburg, der in der Schlacht zwischen Preußen und Schweden bei Fehrbellin zwar siegreich, aber eigenmächtig handelt, weshalb ihn der Kurfürst zum Tode verurteilen lässt, ist ein Gefühlsvulkan: Impulsiv, unberechenbar, naiv, heißblütig, übermotiviert, leidenschaftlich, unbekümmert, schutzlos. Er, der im Kampf um sein Leben das Hemd durchschwitzt und am Schluss barfuß gegen lauter Militärstiefel steht, ist im Bühnen-Schachspiel um Gnade und Macht der Läufer und Springer. Diehl schreit und windet sich auf dem Boden, er verausgabt sich, bis er sich durchringt zur befreienden wie pathetischen Aussage: „Ich will das heilige Gesetz des Krieges durch einen freien Tod verherrlichen.“
Seinen Gegenspieler, den Kurfürsten, gibt Peter Simonischek als abgeklärten Taktiker und Machtmenschen von aufreizend gelassen zur Schau gestellter Souveränität, hinter der sowohl Selbstverliebtheit als auch Brutalität durchschimmern. In der Partie ist er der König, der nicht fallen darf. Für ihn ist der Prinz von Homburg Spielball, Instrument des Machterhalts und Schicksalsfrage zugleich.
Letztlich gibt es zwei Verlierer
Die Salzburg-erprobte Regisseurin („Das weite Land“, „Verbrechen und Strafe“) Andrea Breth, geboren 1952 in Rieden bei Füssen, stellt den ungleichen Zweikampf, in dem es für sie letztlich zwei Verlierer gibt, ins Zentrum ihrer in Kooperation mit dem Wiener Burgtheater entstandenen Inszenierung. Zu deren Stärke gehören die großen Tableaus, durchchoreografierte Gruppenszenen, die an Tafelbilder erinnern. Die einzelnen Auftritte auf der schwarz wie eine Leinwand gerahmten Bühne werden hart aus- und aufgeblendet – ein dem Film entlehntes Mittel. Das Salzburger Premierenpublikum feierte Ensemble und Regie mit stürmischem Beifall. Alle elf Aufführungen der Festspielzeit sind ausverkauft.
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