Ballettpremiere "Ma.donna" lag in Frauenhand
Die Ballettpremiere "Ma.donna" am Theater Augsburg lag diesmal in Frauenhand: Lauri Stallings faszinierte mit moderner Bewegungssprache. Von Birgit Müller-Bardorff
Ist das Ballett? Diese Frage stellt sich nach den ersten Minuten der neuen Tanzproduktion am Theater Augsburg, "Ma.donna", denn die Choreografin Lauri Stallings konfrontiert in ihrem Stück "Zoot" ihr Publikum mit eckigen, eruptiven Bewegungen, die eher an unkontrollierte spastische Zuckungen erinnern.
Ja, es ist Ballett, es ist "Gaga", ein spezieller Tanzstil, den der israelische Choreograf Ohad Naharin entwickelt hat, in dessen Batsheva Dance Company Lauri Stallings Mitglied war. Die Tänzer schütteln Arme und Beine, klappen die Hände und Füße ab, kreisen mit dem Arm und vollführen staksige Drehungen im 360-Grad-Winkel. Man bekommt das Gefühl, dass der Körper in seine Einzelteile zerlegt wird, aber, was zunächst befremdet, wird in der Kombination und vor allem im Ensemble zu einer faszinierenden Studie der Bewegungsfähigkeit. Gaga eröffnet dem Augsburger Publikum neue, überraschende Einblicke in die moderne Tanzkunst.
Zarte Choreografie zu Wagners "Tristan und Isolde"
Eine Kombination klassischer und avantgardistischer Elemente bringt Amanda Miller in den dreiteiligen Ballettabend ein, den diesmal ausschließlich Frauen choreografieren. Die Musik, die sie für "The Field of Eyes" gewählt hat, weckt Erwartungen an mächtiges Pathos: Richard Wagners Vorspiel zu "Tristan und Isolde" und "Isoldes Liebestod". Umso überraschender dann die Ausführung: zart, schwebend. Miller choreografiert gegen die Musik, verpasst ihr mittendrin sogar eine längere Pause und widersetzt sich der Wucht Wagners.
Inszeniert wird nicht das große Liebesdrama, es gibt kaum Pas de deux, die sich bei diesem Thema eigentlich anböten. Stattdessen: Traumwandlerische Gestalten kreisen über die Bühne, ziehen sich wieder auf Stühle im Dunkel des Bühnenrandes zurück. Bestach im vorherigen Stück vor allem der Tanz in der Gruppe, so sind es hier die einzelnen Tänzer, die in ihrer Leichtigkeit Akzente setzen. Herausgegriffen sei Maiko Arai, der Anfangs- und Schlussbild gehören und die mit einem kleinen Flattern ihrer Finger die ganze Bühne zu beherrschen scheint. Ein starker Rahmen, der für einige Längen in der Mitte entschädigt.
Aber dann der Höhepunkt: "Agnes Bernauer". Ein Fürstensohn verliebt sich in eine einfache Baderstochter und ist bereit, dafür seine Macht aufzugeben. Die Gesellschaft und sein Vater lassen das nicht zu, er soll eine Andere heiraten. Die nicht standesgemäße Person wird beseitigt. So einfach können große Geschichten mit großen Gefühlen sein. Die Choreografin Anna Vita, Ballettdirektorin des Mainfrankentheaters Würzburg, hat den Stoff erstmals als Tanzstück adaptiert.
Ausstatter Stefan Morgenstern stellt dafür auf der Augsburger Drehbühne die zwei konkurrierenden Welten des Dramas einander gegenüber: auf der einen Seite die Baderstube, die an eine moderne Wellness-Oase erinnert, auf der anderen Seite der Hof mit seiner Ahnengalerie. Strenge steht gegen Lebenslust, Haltung gegen Entspannung. Die Gegensätze spiegeln sich bis in die Kleidung. In der Baderstube werden schon mal die Hosen heruntergelassen, wird die Krawatte ausgezogen; im Palast sitzen Anzüge und Kleider wie ein Korsett.
Vita hat diese Trennung der beiden Bereiche auch in ihre Choreografie übernommen. Die höfische Gesellschaft bezieht sich auf klassisches Tanzvokabular, in der Baderstube herrschen modernere Tanzformen vor. Die Drehbühne wird jedoch nicht nur zur Verdeutlichung der Standesgegensätze eingesetzt, sie sorgt zudem für eine dramatische Zuspitzung, indem sie mehrere Handlungsabläufe gleichzeitig vorbeiziehen lässt.
So gelingt Anna Vita ein Drama, das die Zuschauer berührt und keine Minute abschweifen lässt. Kein Schritt ist zu viel, jeder notwendig, um die Geschichte voranzutreiben und die Charaktere zu entwickeln. Wunderschön anzusehen sind die Pas de deux des Liebespaares Albrecht und Agnes, die jugendliche Ausgelassenheit und Hingabe ebenso ausstrahlen wie körperliche Erotik. Für die Verzweiflung und schließlich die Unterwerfung Albrechts unter die Staatsräson findet Vita am Schluss expressive Schritte und Bewegungen.
Umgesetzt werden diese von Tänzern, die nicht nur in ihrer Technik, sondern auch in ihrem schauspielerischen Ausdruck überzeugen: die mädchenhafte Christine Ceconello als unschuldige Agnes, die dem Machtgezänk ungläubig gegenübersteht; Armando Gonzalez Besa als Herzog Ernst mit unerbittlicher Herrschergeste; eine kühl-vornehme Janet Sartore als Anna von Braunschweig, und schließlich Dejan Kolarov, der sich in der Rolle des Albrecht in Höchstform präsentierte.
Drei Frauen übernahmen die Regie bei diesem letzten Ballettabend der Spielzeit am Theater Augsburg. Eine spezifisch feminine Tanzästhetik ließe sich aus dieser Programmatik aber nicht ableiten. Der Abend begeisterte mit einer hochspannenden, in seiner Verschiedenheit interessanten und in seiner tänzerischen Ausführung höchst professionellen Vorstellung. Birgit Müller-Bardorff
Nächste Vorstellungen am 30. April, 2. und 4. Mai
Die Diskussion ist geschlossen.