Umjubelte Premiere von Glucks "Iphigénie"
Hamburg (dpa) Mit einer vor allem musikalisch bezwingenden Neueinstudierung von Glucks "Iphigénie en Tauride" hat die Hamburgische Staatsoper erneut bewiesen, dass sie sich auch auf dem Feld der barocken und frühklassischen Oper erfolgreich schlagen kann.
Das Premierenpublikum jedenfalls ließ sich bei diesem prachtvollen Gluck-Revival zu begeistertem Applaus und Bravo-Rufen nicht nur für die großartigen Sänger und den Chor, sondern auch für das von dem Italiener Alessandro De Marchi superb geleitete Orchesterensemble animieren. Damit demaskierten die Musiker alles Gerede von Glucks angeblich marmorner Kälte und Erhabenheit als krasses Fehlurteil.
Denn gerade diese "Iphigénie en Tauride" (nur wenige Wochen nach Goethes "Iphigenie" in Paris 1779 triumphal aus der Taufe gehoben) ist weit über ihren musikhistorischen Stellenwert hinaus als siegreicher Gegenentwurf zu der in rigiden Floskeln und pompösen Tableaus erstarrten italienischen und französischen Oper der Zeit von einem Schwung, einem Feuer, einer natürlichen Empfindsamkeit, die sie als einzigartig nicht nur im Schaffen von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) dastehen lässt. Auch ihr moralischer Appell zu reiner, selbst bestimmter Menschlichkeit, die sich jede blinde Schicksalsgläubigkeit versagt, ist über die Jahrhunderte gültig geblieben.
So war es denn auch klug von dem jungen französischen Regisseur und Chéreau-Schüler Philippe Calvario, dem Zeitlos-Mythischen dieses Werks bei seiner Hamburger Neuinszenierung (der ersten nach über 50 Jahren) exemplarisch Raum zu geben. Und das unselige Geschehen um Schuld, Rache und Tod des hochfahrenden griechischen Atriden- Geschlechts nicht um jeden Preis effektsüchtig in schrille aktuelle Parallelen zu zwängen. Dafür hatte der Brite Jan Morrell ihm als durchaus eindrucksvolle Bühne die riesige rostige Stahlwand eines Schiffsrumpfs entworfen, eine düstere Projektion der von den Barbaren beherrschten Schreckens-Insel Tauris.
Aus diesem Stahl-Koloss nun lösten sich in etwas schwergängiger Folge - wuchtige Abwrackteile zu immer neuen szenischen Arrangements: Mal als Treppe, Gangway oder als Altar, auf dem Iphigenie als Gefangene des Skythen-Herrschers schließlich ihren Bruder Orest opfern soll. Doch verweigert sie den blutigen Akt, nicht ohne dass sich vorab die skythischen Krieger und die Furien wilde Schlacht- und Rachetänze geliefert hätten. Dass diese in Sophie Telliers flacher Choreographie eher fragwürdig gerieten wie auch Klytämnestras groteskes Erscheinen, schlug freilich für das denn auch mit ein paar Buhs bedachte Regie-Team negativ zu Buche.
Am Pult der Philharmoniker zog Alessandro De Marchi, der in Hamburg schon Monteverdis "Poppea" und Händels "Giulio Cesare" prächtiges Leben verliehen hatte, auch für Glucks grandioses Reformwerk alle Register seiner in Klang und Ausdruck hoch differenzierten Musizierkunst. Faszinierend, wie er diese von anrührender Schlichtheit der Gefühle getragene Gluck'sche Musik ebenso temperamentvoll wie subtil zu großer, bewegender Wirkung brachte. Berückend auch, wie er die von Gluck genial entfesselten Konflikte in züngelnden Glanz tauchte.
Er hatte aber auch mitreißende Sänger zur Seite: Allen voran die zur Weltspitze aufgestiegene bulgarische Sopranistin Krassimira Stoyanova, die der Iphigenie mit ihrer ungemein tragfähigen und glutvoll strahlenden Stimme fesselnde Gestalt verlieh. Stark gefeiert wurde auch der britische Bariton Christopher Maltman. Ein Sänger, der den Orest mit aufregend rauen, ja, aggressiven Zügen versah. Ein Theatertier von explosivem Darstellungsdrang, zu dem der wunderbare Toby Spence als lyrischer Pylades in blendendem Kontrast stand. Markant Thomas J. Mayer als Thoas und Ann-Beth Solvang als Diane. Denkwürdig der Chor der Griechinnen.
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