Wo Kunst-Voyeure neugierig hinblicken
Karin Kneffel ist die große virtuose Illusionsmalerin der Gegenwartskunst. Sie schaut auch durch die Fensterscheiben privater Villen und öffentlicher Museen.
Was ist nicht alles schon reflektiert worden in der Tafelmalerei! So manche Schöne im vorgehaltenen Spiegel – wie die Venus bei Velásquez. So manches Künstlerporträt – wie bei Parmigianino im konvexen Kristall. So manches Fensterkreuz in der Pupille eines Konterfeiten – wie bei Dürers Hasen.
Viele hunderte, wenn nicht tausende Wassertropfen hat die deutsche Malerin Karin Kneffel schon gemalt. Einige auf Obst – illusionistischer Hinweis der Frische –, viel mehr auf Fensterscheiben, die sie als eine Art visuelle Fangvorrichtung zwischen die Betrachter ihrer Gemälde und ihrer Bildmotive einschiebt, einzieht. Diese Fensterscheiben sind mal beschlagen, mal rinnt Regenwasser an ihnen herab, mal sind sie von Tropfen gesprenkelt. Und was spiegelt sich dann immer wieder in diesen Tropfen?
Es ist ein spitzgiebeliges Ein- oder Zweifamilienhaus, wie es gang und gäbe war im Ruhrgebiet, auch in Marl, wo Karin Kneffel 1957 geboren wurde und aufwuchs. Seit 25 Jahren nun malt sie Lichtreflexionen etwa auf wächsernen Apfelschalen und blank polierten Parkettböden, sowie Spiegelungen in Fensterbildern, die Architektur, Mediengeschichte und auch die Kunstgeschichte verschwommen zu fassen trachten. In ihren raffiniertesten Bildern sehen die Betrachter, die Voyeure, gar durch die Scheiben zweier Gebäude, und es spiegelt sich in der Fensterscheibe direkt vor ihnen, was sich scheinbar in ihrem Rücken befindet, und in der Fensterscheibe des Nachbarhauses, was sich im Garten befindet. Karin Kneffel ist die große, virtuose Schein-Malerin der deutschen Gegenwartskunst. Sie verquickt das Davor und Dahinter, auch das Vorher und Nachher. Nun hat sie im Baden-Badener Frieder Burda Museum eine Überblicksschau mit weit über 100 Arbeiten ausgerichtet bekommen, die ihren Lebenslauf und ihre Künstlerbiografie mit den jeweiligen Hürden und Impulsen umkreisen und vermessen.
Karin Kneffels Malerei nimmt die Kunst ins Visier
Nach den Nutztier-Porträts, die Karin Kneffel zu Beginn ihres Düsseldorfer Kunststudiums bei Günter Brus, Norbert Tadeusz und später in der Gerhard-Richter-Meisterklasse nicht zuletzt auch aus Tabubruch-Gründen malte, nach ihren Früchte-Stillleben und Parkettbildern mit Teppichen, Tierfellen und dösend-wachsamen Hunden steht mittlerweile im Zentrum ihrer Malerei die Kunsthistorie selbst. Ausgehend von einer Einladung, in den heutigen Krefelder Museen Haus Esters und Haus Lange – zwei einst von Mies van der Rohe entworfene Villen – eine Ausstellung zu machen, beschäftigte sich Karin Kneffel mit den dort ehemals versammelten Privatkollektionen an hochkarätiger Kunst, wozu unter anderem Kirchners „Potsdamer Platz“ (heute Nationalgalerie Berlin) und Chagalls „Droschkenkutscher“ gehörten (heute Städel Frankfurt). Was die Provenienzforschung links liegen gelassen hatte, recherchierte Kneffel anhand alter Schwarzweiß-Fotos und des Internets – und integrierte es malend, in gleichsam neugierigen Fensterblicken wieder ins alte Bauhaus-Villen-Interieur. Erst in Schwarzweiß, beziehungsweise in Grau-Tönen, dann in fiktivem Sonnenuntergangslicht, später, als sämtliche Bilder und ihr Kolorit identifiziert waren, in unverfälschten Farben.
So fuhr die Linkshänderin fort über die Jahre und malte verschwimmende, spiegelnde Bildräume, Bilder in Bildern. Nationalgalerie, Städel, Lehmbruck-Museum Duisburg. Und auch, wie sich ihre Studenten von der Münchner Kunst-Akademie auf einer Exkursion in die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bilduntersuchend verhalten. Dies alles mit Distanz von außerhalb betrachtet – teils auch mit ironischer Distanz, wenn auf beschlagenen Scheiben plötzlich ein Smiley auftaucht, wenn im Lehmbruck-Museum Fensterputzer mit großer, expressiver, malerischer Geste die Glasfronten reinigen, wenn in Interieurs Hitchcock-Szenen eingebaut werden. Sanfte Ironie ist das mögliche Eine bei Karin Kneffel, latentes Unbehagen bei tristen, schäbigen, lähmenden, verfremdeten Raumbildern das mögliche Andere.
Wie die Künstlerin sich von Gerhard Richter befreite
Man muss diese Bilder lesen. Dann lehren sie auch, wie Karin Kneffel ihren Professor Gerhard Richter zu überwinden lernte, nach und durch Aneignung. Wie sie mit einem dicken, roten, pastos wirkenden, aber hauchdünn gemalten Pinselstrich verwischt-grautönige Interieurs und Motive negierend durchkreuzt, wie sie verwischte Richter-Bilder hinter nassem Glas weiter verschwimmen lässt – oder den Abdruck ihrer gespreizten Hand auf Glas wie ein Verbotszeichen vor eine Richter-Kerze setzt.
Gleichzeitig setzt Kneffel in ihren am PC konzipierten Bildwirklichkeiten fort, wie man den Schein von Realität malt und nicht die Realität selbst, wie man diese Wirklichkeiten verschleiert – und wann man aufzuhören hat, an einem Bild zu arbeiten. Nämlich erst dann, wenn einen nichts mehr stört.
- Karin Kneffel: Still. Bis 8. März 2020 im Museum Frieder Burda in Baden-Baden. Di bis So von 10 bis 18 Uhr. Der Katalog (Schirmer/Mosel) kostet 35 Euro.
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