Von Warhol bis Wenders: Die Kunst des Sofortbildes
Warum ausgerechnet Polaroids eine so große Rolle für so viele prominente Grenzgänger spielten.
„Augenblick und Ewigkeit – nirgendwo sind sie sich so nah wie im Polaroid.“ Ein maximal hoch tönender Satz im Vorwort zu einem feinen Bildband der großen Porträtfotografin Sibylle Bergemann. Zu hoch? Das Sofortbild als die Authentizität des Moments, für Echtheit bürgend, weil es in Farben und Schärfe nie ganz perfekt wirkt und dabei ja auch noch Unikat ist – keine Abzüge möglich, keine Kopien. Zugleich wird der gefrorene Moment unmittelbar zum beständigen Gegenstand – und auf vielfältige Weise auch Gegenstand von bleibender Kunst.
Sibylle Bergemann („The Polaroids“) ist kein Star. Aber Andy Warhol und Gerhard Richter, Cy Twombly und Wim Wenders, Patti Smith und Christopher Nolan … Sie alle haben sich der Errungenschaft und ihrer Wirkung bedient – und ihrer Ästhetik gehuldigt. Bei Richter etwa im Fall von „Drei Kerzen“ durch die Vorlage des Polaroids für ein Gemälde – wie auch bei Marlene Duras in ganzen Serien. So was konnte je nach fotografiertem Objekt schon mal zum Skandal werden, bei den wachsenden Sensibilitäten der vergangenen Jahre gerade auch posthum.
Das Folkwang Museums etwa sagte eine große Schau mit Polaroids von Balthus auf großen öffentlichen Druck hin ab. Denn zu sehen wären dabei vom für Gemälde mit Mädchen bereits herb angegangenen Franzosen gewesen: 2000 Polaroids einer Halbwüchsigen in Posen, mitunter halb entkleidet, die der Künstler im Alter von 80 Jahren gemacht hatte. Diese gefrorene Gegenwart von Mann und Mädchen machte zu sehr moralisch fröstelnd.
Bei Cy Twombly wurde die Polaroid zum Verzauberungskasten
Das Verhältnis von Fotografierendem und Fotografierten trug in anderen Fällen gerade zur ungeheuren Popularität des Formats bei. So hatte Andy Warhol als notorischer Ego-Chronist ja bei jedem Schritt eher drei Fotoapparate als nur einen bei sich, darunter am liebsten eine Polaroid, deren neuestes Modell ihm vom Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde. Womit er eine wahre Sofortbilderflut aus seinem Leben hinterlassen hat, samt all der Prominenz um ihn herum: von Lou Reed bis Muhammad Ali, von Liza Minelli bis Arnold Schwarzenegger, von Christo bis Willy Brandt …. Auch David Hockney. Der, selber Pop-Art-Star, wiederum hat, wenn mal nicht malend, auch Polaroid-Foto-Collagen angefertigt. Freilich nie auf dem Niveau, das Cy Twombly mit seinen Sofortbildserien erreichte. Bei ihm wurde die Polaroid zum Verzauberungskasten, er schaltete den Autofokus aus, die quadratischen Fotos des Alltäglichen wurden zu höheren Ahnungen.
Man könnte so nun die Werke vieler großer Fotografen durchgehen, in deren Werk die Sofortbilder je einen eigenen Platz einnahmen: Angefangen von Walker Evans bis zu André Kertész, der seine letzten Lebensbilder in Erwartung des Todes mit einer Polaroid hinterlassen hat. Könnte dabei auch noch den Sofortbild-Meisterwerken des Niederländers Robby Müller schwärmen oder von der ja in allem so herrlich eigenwilligen Patti Smith, leidenschaftliche Fotografin im Alltag wie auf ihren Reisen – und dabei immer noch gern mit einer sehr alten Polaroid.
Wim Wenders inventarisierte mit den Polaroids das Unmittelbare
Aber beim Gegenteil von Cy Twombly landet man schließlich in Wim Wenders. Der Regisseur mit Filmbildern wie Gemälden inventarisierte in „Sofort Bilder“ geradezu das Unmittelbare – wie ein Tourist im Leben, das doch das seine ist. Regie-Kollege Gus Van Sant klammerte sich fotografierend eher an Gesichter. Was zusammen zum vielleicht schönsten Beispiel von Polaroids im Film führt. Christopher Nolan, heute längst Regiestar, beraubte im Frühwerk „Memento“ einen Mann seiner Erinnerungsfähigkeit – was ihn verzweifelt dazu greifen lässt, von allem und jedem Polaroids zu machen und diese zu beschriften. Als könnte er sich so seiner Identität versichern. Ein Scheitern. Denn ohne Koordinatensystem verlieren auch alle Anhaltspunkte ihre Bedeutung. Augenblick und Ewigkeit – das Leben auf dem Polaroid ist zwischen beidem verloren.
Die Verfallsform: Einer wie Justin Bieber verwendet im Musikvideo („One Less Lonely Girl“) halt hip Polaroids, auf denen ganz viel er selbst zu sehen ist – und die Bilder werden als Unikate dann an den Meistbietenden versteigert. Hier ist das Polaroid mausetot.
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