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Wie ein Trottel das Leben meistert
![Jan Faktor gehört mit seinem Buch "Trottel" zu den sechs Finalisten auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022. Jan Faktor gehört mit seinem Buch "Trottel" zu den sechs Finalisten auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715674498059-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
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Zwölf Jahre hat Jan Faktor gebraucht, um diesen fulminanten Roman "Trottel" zu schreiben. Völlig zu Recht ist er für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Das kommt auch eher selten vor: ein Trottel als Hauptfigur, ein Georg, der von sich sagt, ein Trottel zu sein. Gleich auf Seite eins: „Ich bin als ein Trottel auf die Welt gekommen, bin wie ein Trottel aufgewachsen und musste folgerichtig einer bleiben – zu retten oder gutzureden war da nichts.“ Und wenig später erfährt man als Leserin oder Leser, dass dieser Trottel einen Sohn gehabt hat, der ebenfalls ein Trottel gewesen sein soll, jawohl, gewesen, denn er lebt nicht mehr, der Sohn. Trotzdem, so der Trottel Georg, sei er glücklich, könne er leben. Deshalb wolle er das alles erzählen. Soll man da weiterlesen? Unbedingt!
Jan Faktor legt mit – wie könnte dieses Buch auch anders heißen – „Trottel“ einen Roman vor, der auf der einen Seite Traumabewältigung ist, auf der anderen den real existierenden Sozialismus der 1970er und 80er-Jahre in der Tschechoslowakei und DDR beschreibt. Georg, wohl das literarische Alter Ego des Autors, spricht dabei über eine Tragödie, die Jan Faktor selbst erfahren und durchlitten hat: den Tod des eigenen Kindes im Alter von 33 Jahren.
Das geschah 2012. Zwei Jahre zuvor hatte Faktor mit seinem Roman „Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag“ für Furore gesorgt und war damals für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Nach dem Tod seines Sohnes folgte ein langes literarisches Schweigen. Nun setzt Faktor dort wieder an, wo er 2010 in dem Roman mit dem sperrigen Titel schon war: Er setzt sich mit seinem Leben auseinander. Oder wie er in dem Buch seinen Ich-Erzähler sagen lässt: „Ich könnte niemals Romane in der dritten Person schreiben.“
Erzählt wird von Prag in den 1970er-Jahren und Ost-Berlin in den 1980er-Jahren
Die Form, die Faktor allerdings für seine Traumabewältigung wählt, ist denkbar überraschend: Er knüpft an die Tradition des Schelmenromans an, greift auf die tschechische Erzählweise eines Bohumil Hrabal zurück, ergeht sich in Abschweifungen, die zu weiteren Abschweifungen führen, mal ist es ein Detail, das er einfach noch ein wenig erklären möchte, mal sind es virtuose Sprachspiele, die den Ich-Erzähler auf der sprachlichen Ebene von einem Thema zum Nächsten springen lassen.
Erzählt wird von Prag in den 1970er-Jahren und Ost-Berlin in den 1980er-Jahren, erzählt wird von den beiden Städten, die Faktors Leben in dieser Zeit geprägt haben. Das macht er auf der einen Seite schonungslos, beschreibt die Opportunisten, die Mitschwimmer und seine Wut auf sie, dann aber auch voller Liebe, etwa wenn er die Künstler- und Aussteigerenklave Prenzlauer Berg beschreibt, wo er eine Familie gründet.
Dieser Roman ist eine Zumutung im besten Sinn
Und man spürt bei aller Leichtigkeit und Sprachverliebtheit in den Beschreibungen, wie schwer es dem Ich-Erzähler fällt, sich immer wieder dem Sohn in den verschiedenen Phasen zu nähern, dessen Nicht-Heimisch-Werden im Leben zu fassen, wo es dem Vater – bei aller Ähnlichkeit und trotz aller Widerstände gelungen ist. Das geht nicht unter im Strom des Plauderns, Erzählens, Beschreibens und Abschweifens, vielmehr bilden diese Passagen das Feste, Schmerzende.
Dazu gibt es Fußnoten, die den Text selbst kommentieren, Einschübe, Streichungen, die trotzdem noch sichtbar sind, Erklärungen, dass der Ich-Erzähler auf einer Schreibmaschine tippt, deshalb keine Suchfunktion hat und leider nicht schnell nachschauen kann, ob die folgende Szene nicht schon beschrieben wurde. Man bitte ihm, das nachzusehen.
Kurzum: Dieser Roman ist eine Zumutung im besten Sinn, eine Traumabewältigung hier und eine einzige, irrekomische Suada dort. Und noch viel besser, es funktioniert bestens und bereitet als Leserin oder Leser jede Menge Vergnügen. Damit gehört Faktor zu Recht in den engen Kreis derer, die noch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stehen und am Montag darauf hoffen können, den Preis zum Auftakt der Buchmessen-Woche zu gewinnen.
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