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Survival-Sommer: Die Aufgabe: Verbringe eine Nacht auf einem Berggipfel

Survival-Sommer

Die Aufgabe: Verbringe eine Nacht auf einem Berggipfel

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    Sonnengrüße im Sonnenaufgang
    Sonnengrüße im Sonnenaufgang Foto: Johannes Hofmann

    Die Aufgabe diese Woche:

    Ohne Zelt auf einem Berggipfel übernachten. Ein Foto mit einer echten Allgäuer Kuh mitbringen, ein Gedicht ins Gipfelbuch schreiben, einen Sonnengruß während des Sonnenaufgangs machen und oben eine Blume pflücken. Na dann los!

    Wie immer, wenn es anstrengend wird, wünsche ich mir ein Pony herbei. Ich stapfe den Grünten hoch, die Steigung beträgt mehr als 20 Prozent und mein Rücken ist klatschnass geschwitzt. Weit und breit gibt es statt Ponys aber nur Kühe – ich muss meinen Rucksack selbst tragen. Und der ist verdammt schwer. Er ist vollgepackt mit Proviant, mehreren Litern Wasser, Gaskocher, Schlafsack und warmen Klamotten, außen dran hängen noch Isomatten und Jacken.

    Der Auftrag: Schlaf auf einem Gipfel. Ohne Zelt. Der Plan: abends auf den 1738 Meter hohen Grünten, dort ein Nachtlager aufschlagen, nach dem Sonnenaufgang wieder heim. Das einzige Problem: Der Berg an sich. Ich krieche Meter für Meter hinauf, aber der Rucksack zieht mich immer wieder gen Tal. Als Fotograf und mentale Unterstützung ist mein Freund dabei. Sein Rucksack ist genauso voll, keine Chance, dass er meinen auch noch nimmt. Er hat schon Sorge, dass wir den Sonnenuntergang verpassen, weil ich so langsam bin. Aber ein „Na komm, auf geht’s!“ alle drei Minuten macht mich auch nicht schneller.

    Für einen Boxenstopp auf der Grünten-Hütte reicht es trotzdem noch, um Punkt sechs Uhr öffne ich mit einem Zischen eine eiskalte Apfelschorle mit Blick auf die umliegenden Berge. Mit jedem Schluck werde ich wieder etwas sicherer, dass ich das Abenteuer „Gipfelnacht“ überstehen werde.

    Eineinhalb Stunden später und etwa 250 Meter höher sitze ich zusammengekauert auf den Stufen zum Jägerdenkmal, wärme meine Hände an einer kleinen Alu-Camping-Tasse mit Tee und zähle die Stunden auf meiner Armbanduhr. Um kurz nach sechs soll die Sonne aufgehen – wie soll ich die nächsten zehn Stunden hier oben überstehen?

    Die Tage vor der geplanten Gipfelnacht regnet es durchweg

    Tagelang haben wir überlegt, auf welchem Gipfel wir biwakieren werden. Biwakieren, also das Errichten eines Lagers – ohne Zelt – für maximal eine Nacht wird in der Regel in den Bergen geduldet, wenn es nicht in einem Naturschutzgebiet stattfindet. Der Berg also: Nicht zu hoch sollte er sein, sodass man bequem (ha!) am Abend hinaufsteigen kann. Dann sollte der Gipfel natürlich auch zum Schlafen geeignet sein – nicht zu felsig, nicht zu steil. Und eine gewisse überregionale Bedeutung wäre natürlich auch schön. Wir sprachen mit erfahrenen Bergsteigern, alteingesessenen Allgäuern und Freizeit-Abenteurern, alle waren sich einig: Keiner eignet sich besser als „der Wächter des Allgäus“ – der Grünten. Als kleines Kind habe ich in der Grüntenstraße gewohnt, bei jedem späteren Ausflug ins Allgäu haben wir ihn an seiner großen Antenne immer zuerst erkannt – ich musste nicht lange überzeugt werden. Nur, dass es so steil hinauf geht, daran konnte ich mich nicht erinnern.

    Die Tage vor der geplanten Gipfelnacht regnet es durchweg. Die Temperaturen klettern auch tagsüber nicht über fünfzehn Grad, auf den Straßen sammelt sich das erste Laub. Wir gehen zusätzliche Isomatten kaufen.

    Am großen Tag haben wir Glück. Endlich wieder Sonne! Wir stellen das Auto unterhalb der Alpe Kammeregg ab, schnüren die Stiefel, schultern das Gepäck und ziehen los. Bahnen uns einen Weg durch die vielen Ausflügler, die die gleiche Strecke wieder hinabsteigen, und erreichen irgendwann den Gipfel. Eigentlich geht das Abenteuer jetzt erst richtig los. Wandern kann jeder, auf einem Gipfel schlafen ist nur etwas für die Harten.

    Innerhalb einer Viertelstunde merke ich, dass ich eher zu den Weichen gehöre. Wir breiten uns zwar gleich in einer windgeschützen Kuhle unterhalb des Jägerdenkmals aus. Doch der Wind pfeift uns trotzdem um die Ohren und obwohl – oder gerade weil – ich eben noch geschwitzt habe, ist mir innerhalb weniger Minuten eiskalt. Mütze, Wollpullover, Softshelljacke und Daunenweste helfen nicht, wenn die Finger klamm vor Kälte sind. Und auch meine Nasenspitze fühlt sich so betäubt an, wie nach einem zu langen Aufenthalt auf dem Weihnachtsmarkt. Handschuhe habe ich natürlich vergessen, obwohl sie ganz oben auf meiner Liste standen. Ich kauere mich also dicht an den Treppenaufgang zum Jägerdenkmal und warte darauf, dass das Teewasser kocht. Das große, steinerne Mahnmal, das an die toten Gebirgsjäger des Ersten Weltkriegs erinnern soll, thront auf dem Gipfel. Um uns herum sind nur einige halbhohe Bäume, mageres Gras und felsige Vorsprünge. Es ist übersichtlich hier oben, das gefällt mir schon mal ganz gut. Die jungen Rinder, die hier auf den Almen leben, grasen bis kurz unterhalb des Gipfels. Das beruhigt, hat ein umherstreunender Wolf oder Bär doch sicherlich mehr Appetit auf ein saftiges, artgerecht gehaltenes Rinderfilet als ein Maul voll Nylon, Daunen und Mensch.

    Sieht der Pilot uns auch?

    Es braucht drei Tassen Tee, bis meine Hände wieder warm sind. Und während ich dort sitze und überlege, ob das Flimmern am Horizont eine Spiegelung des Sonnenlichts oder tatsächlich der Bodensee ist, nähert sich mit einem lauten Brummen von Südwest ein kleines Flugzeug. Kommt immer näher und fliegt so nah am Gipfel vorbei, dass wir in das Cockpit schauen können. Sieht der Pilot uns auch? Er hebt den Arm und winkt, bevor er eine Linksvolte fliegt und wieder Richtung Tal verschwindet. Und von allen Momenten dieses Abenteuers sollen diese wenigen Sekunden die bleiben, die sich am schärfsten in mein Gedächtnis brennen. Die kurze Begegnung an dieser Weltspitze – ein Blick, ein Winken, ein Lachen.

    Das erste geplante Highlight, ein malerischer Sonnenuntergang, fällt dagegen aus; die Wolken sind zu dicht, die Sonne verdeckt. Während es langsam dämmert, stellen wir uns darauf ein, dass es jetzt ruhiger wird am Berg. Wir packen den Nudelsalat und den Butterkuchen aus und staunen nicht schlecht, als plötzlich eine fröhliche Familie um die Ecke kommt und sich auch auf dem Jägerdenkmal niederlässt. Wollen die auch hier schlafen? Wir fragen vorsichtig nach und sie lachen genauso herzlich, wie sie sich durchweg unterhalten. Nein, nein, sie haben Stirnlampen dabei und steigen nach dem Abendbrot wieder ab.

    Nach dem Essen suchen wir das Gipfelbuch, eine der Aufgaben, die der Journal-Aufsichtsrat gestellt hat, lautet: Schreibt ein selbst geschriebenes Gedicht in das Gipfelbuch.

    Der fünfhebige Jambus ist schon gedacht, jetzt muss er noch aufgeschrieben werden. Das wäre doch gelacht!

    Wir suchen am Denkmal, wir suchen am Gipfel, / wir durchforsten selbst die hintersten Wipfel.

    Doch ein Buch ist nirgends zu haben, / so geben wir uns schließlich geschlagen.

    Es gibt also für die Kollegen kein Gedicht, vielleicht zum Glück – Reimen kann ich wirklich nicht.

    Schon wenige Minuten, nachdem wir die Isomatten ausgebreitet hatten, hat sich eine Tauschicht auf die Matten gelegt. Als wir uns etwa zwei Stunden später hinlegen wollen, sind die Matten und unsere Plastikplane patschnass. Zum Glück sind die Schlafsäcke noch in den Rucksäcken. Wir drehen die Isomatten mit den nassen Seiten nach unten und ziehen alles aus dem Rucksack, was uns noch warmhalten kann. Inklusive ein paar dicker Wollsocken, die ich mir gleich über die Hände stülpe. Warum bin ich da nicht vorher drauf gekommen? Kaum liege ich im Schlafsack und habe es mit den „Handschuhen“ geschafft, den Reißverschluss des Schlafsacks zu schließen, ärgere ich mich, dass ich so viel Tee getrunken habe. Mist.

    Es ist etwa halb zehn, als wir es uns auf dem Boden gemütlich machen, den Blick zum Himmel gewandt. Die Wolken haben sich alle verzogen, die ersten Sterne funkeln schon. Minütlich werden es mehr, einer nach dem anderen wird sichtbar und die Milchstraße zeigt sich. Wir haben trotz aller Zweifel die richtige Nacht für das Abenteuer gewählt. Es ist Mitte August, zu keinem Zeitpunkt kann man in unserer Hemisphäre besser Sternschnuppen zählen als jetzt. Nach etwa zwanzig Minuten gehen mir die Wünsche aus und es regnet weiter Lichtstreifen. „Da!“, „Hast du die gesehen?“, „War das eine?“ – zwischen uns und den Sternen befindet sich nichts als Nichts. Zwischen den Sternschnuppen überlege ich, wie man diesen Himmel beschreiben kann. Ich sehe kleine, schwach leuchtende Sternchen, große, funkelnde Gestirne und ein Chaos, das auf den ersten Blick keiner Logik zu folgen scheint.

    Ich rufe lauter - keine Reaktion

    Ich blicke in ein Gesicht, das über und über mit Sommersprossen bedeckt ist. Ein Himmel mit Pigmentstörung – je dunkler die Nacht, desto fröhlicher das Antlitz. Der zweite, denkwürdige Moment des Abenteuers ereignet sich irgendwann zwischen zehn und elf Uhr. Zwischen all den Sternschnuppen, die man aus den Augenwinkeln zu sehen glaubte, stürzt ein rot brennender Komet vom Himmel. Deutlich zu sehen rast er durch unser Blickfeld und wirkt so nah, dass wir befürchten, er würde Sonthofen von den Landkarten löschen.

    Mein Freund schält sich wieder aus seinem Schlafsack, jetzt ist der beste Zeitpunkt für die Sternenhimmelfotos. Er erzählt etwas von Langzeitbelichtung und einem fehlenden Stativ, ich nicke und ziehe die Kapuze meines Schlafsacks fester zu. Ich lausche auf die Geräusche der Nacht. Und höre nichts. Auch keinen Freund. Ich rufe ihn leise. Ist ja irgendwie friedvoll hier oben, da will man die Stille nicht stören. Keine Antwort. Ich rufe lauter. Keine Reaktion. Ich setze mich auf und suche den Lichtkegel einer Taschenlampe. Nichts zu sehen. Genauso, denke ich, könnte ein packender Thriller losgehen. Dann taucht ein Lichtkegel hinter dem Denkmal auf, geführt von einem großen, starken Mann. Die Statur passt, aber ist er es wirklich? Ich überspiele meine Unsicherheit mit einem lockeren „Ach, wo warst du denn?“. Er ist es, noch mal gut gegangen.

    Ich lege mich wieder hin, es reicht ja, wenn einer friert. Es ist wieder still. So still, dass ich meine, die Brise zu hören, die um meine Nase streicht. Nicht das Gras, das sie zum rascheln bringt, oder die Äste, die sie schüttelt, sondern die Brise an sich. Aber ich fühle sie nur, hier oben herrscht kein Laut. Dann wird mir bewusst, wie ungeschützt ich hier liege. Zu Hause ist der Raum hinter dem Kopf immer von einer Wand begrenzt. Wenn ich hier liege, reicht meine Kontrolle bis zum Ende der Isomatte. Etwas komisch ist das schon.

    Ich drehe mich auf die Seite und krieche tiefer in den Schlafsack. Darf man sich von einem so schönen Himmel abwenden? Ich habe ein schlechtes Gewissen, doch die Müdigkeit ist größer. Und auch die Bequemlichkeit, denn man kann nur eine gewisse Zeit lang ohne Kissen flach auf dem Rücken liegen. Meine Hände sind warm, spontan knülle ich die Socken zusammen und schiebe sie mir unter den Kopf. Besser, weicher. Schon im Halbschlaf bekomme ich mit, wie mein Freund sich auch endlich wieder hinlegt. Und schrecke eine Dreiviertelstunde später hoch. Da war was! Ein Rascheln, rechts von mir, etwa zwei Meter entfernt. Ich starre angestrengt ins Dunkel, sehe nur die Konturen der Grashügel. Dem Geräusch nach war es mindestens eine Ratte. Ich schubse meinen Freund, brauche Verstärkung – keine Reaktion. Er schläft tief und fest. Bis ich die Taschenlampe gefunden und den Bereich ausgeleuchtet habe, ist vom wilden Tier nichts mehr zu sehen. Dafür raschelt es wieder, das Geräusch stammt von unserer Plastikplane. Licht wieder aus, Augen wieder zu.

    Beim zweiten Durchgang knackt die Hüfte

    In den nächsten Stunden werden wir beide immer wieder wach. Meistens, weil der Grasboden doch nicht so weich ist wie gedacht. Die kleinen Hügel bohren sich unnachgiebig in Rücken und Hüfte, die Arme schlafen ein oder der Schlafsack verrutscht. Aber auch, weil plötzlich der Mond herauskommt und so schön und hell leuchtet, dass er die Sterne teilweise verdrängt. Und trotz aller Befürchtungen nie, weil es zu kalt ist. Die Luft kühlt auf elf Grad ab, doch die Schlafsäcke wärmen.

    Um halb sechs ist die Nacht vorbei. Der Himmel färbt sich grau, trotz Müdigkeit ist Weiterschlafen unmöglich. Vor allem, weil es auch mit der Zweisamkeit vorbei ist – eine Wandererin erreicht das Denkmal und packt ihre Thermosflasche aus. Gleich wird die Sonne aufgehen und sie hat sich einen Platz in der ersten Reihe gesichert. Kein Problem, wir teilen den Sonnenaufgang gerne. Auch mit den anderen zehn Personen, die in den nächsten zwanzig Minuten auf dem Gipfel eintrudeln. Manche mit Kaffee, manche mit Bier, alle mit dem gleichen Ziel.

    Eine weitere Aufgabe: Sonnengruß während des Sonnenaufgangs. Nichts lieber als das. Während des ersten Durchgangs rasten etwa vier bis fünf Wirbel wieder ein. Beim zweiten Durchgang knackt die Hüfte und fühlt sich gleich freier an. In Runde drei macht meine Schulter ein komisches Geräusch und nach Runde vier ist von der unbequemen Nacht nichts mehr zu spüren.

    Die ersten Frühaufsteher steigen schon wieder ab, als wir uns einen frischen Tee kochen. Ich packe die selbstgebackenen Müsliriegel aus, die uns Kraft für den Abstieg geben sollen. Sie sehen aus wie die Pferdeleckerli, die ich früher gebacken habe. Schmecken auch so. Mein Freund lehnt höflich ab, ich knabbere einen halben. Wieder kommt mir das Pony in den Sinn, das hätte den körnigen Riegel sicher nicht verschmäht.

    Um kurz vor acht haben wir die nassen Schlafsäcke, die tropfende Plane und die erdigen Isomatten zusammengerollt und verstaut. Die Sonne sticht mittlerweile vom Himmel, schon nach zehn Minuten Abstieg sind wir nur noch in T-Shirts unterwegs. Unsere Rücksäcke sind leichter, wir steigen über die Almwiesen wieder hinab zum Parkplatz bei der Alpe Kammeregg. Unterwegs treffen wir Wanderer, die es auf den Grünten zieht. Manche fragen nach, als sie die Isomatten an den Rucksäcken sehen. Aus ihren Blicken spricht Bewunderung. Stolz bleibe ich stehen und berichte von der nassen, unbequemen Nacht. Aber der Sternenhimmel! Für den hat es sich gelohnt.

    Information: In Landschafts- und Naturschutzgebieten gelten besondere Auflagen, um die Natur zu erhalten und seltenen Tieren und Pflanzen einen möglichst ungestörten Lebensraum zu bieten. Zelten, ein offenes Feuer und das Hinterlassen von Müll sind beispielsweise klar verboten. Es droht ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro. Auch das verursachen von Lärm kann bestraft werden. Biwakieren ist nur in Landschaftsschutzgebieten geduldet und nur, wenn es im Notfall und nicht vorsätzlich geschieht. Unter http://www.alparc.org sind alle alpinen Schutzgebiete verzeichnet. Es gilt jeweils das Naturschutzgesetz des zuständigen Bundeslandes.

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